Ableismus
Wenn wir von Menschen mit Behinderungen hören, fällt oft das Wort "Inklusion". Neuerdings hört man auch immer öfter das Wort "Ableismus". Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Das Wort Able-ismus stammt ursprünglich aus dem Englischen "Abelism" (able = fähig).
Der Begriff Ableismus beschreibt die Beurteilung von Menschen aufgrund ihrer Behinderung, beziehungsweise das Fehlen von Fähigkeiten. Dies gilt für Menschen, die z.B. nicht sprechen oder nicht laufen können, also "sprachbehindert oder gehbehindert sind. Hier wird der Mensch auf das reduziert, was er aufgrund fehlender Fähigkeiten nicht kann. Außer Acht gelassen wird dabei, die Person als solche. Also hat jemand zum Beispiel Humor, Empathie oder setzt sich für den Naturschutz ein. Das "vermeintliche Fehlen" von Fähigkeiten kann zu Abwertung und Diskriminierung führen kann.
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Dabei hat Diskriminierung vielfältige Formen.
Ein Beispiel: Der Teilnehmer einer Fortbildung für Werkstatträte aus einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen ist ein Rollstuhlfahrer. Er will nach der Fortbildung mit dem Zug nach Hause fahren. Damit der Einstieg in den Zug möglich ist, benötigt er eine Rampe. Diese Einstiegshilfe muss beim Service der Deutschen Bahn telefonisch angemeldet werden. Die Kursleitung ruft im Service Portal an. Die Mitarbeiterin der Deutschen Bahn erklärt am Telefon genervt: "Wie? Der (Rollstuhlfahrer) will heute noch fahren? Das geht nicht, da haben wir keine freien Mitarbeiter zur Verfügung. Kann der nicht Morgen fahren, da ist es besser!"
Aufgrund seiner Behinderung öffentliche Verkehrsmittel nur eingeschränkt nutzen zu können, ist eine Diskriminierung und damit "Ableismus". Es ist eine erhebliche Einschränkung der persönlichen Lebensqualität, wenn ich öffentliche Verkehrsmittel nicht so nutzen kann, wie alle anderen Fahrgäste dies tun und damit meine Mobilität dadurch eingeschränkt ist.
"Ableismus" blendet die Einzigartigkeit einer Person aus und reduziert sie auf das, was sie vermeintlich nicht kann. Manchmal aber auch noch schlimmer durch offene Ablehnung. So berichtet mir eine Werkstatträtin aus einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen, dass sie im ersten Lockdown zum "frische Luft schnappen" mit ihrem E-Rolli mal eine Runde um den Block gefahren ist. "Ich musste einfach mal raus" sagte sie mir. Auf der Straße traf sie zwei ältere Damen, die ihr vielleicht wohlwollend rieten: "Sie möge doch bitte im Heim bleiben, schließlich würden ja alle den Lockdown machen, um die Behinderten zu retten." Wahrscheinlich waren die beiden älteren Damen ehrlich besorgt. Trotzdem haben sie mit ihrer Äußerung genau das getroffen, was Ableismus beinhaltet. Sie haben eine junge Frau, die zum Spazierengehen einen Rolli benutzt, auf ihre "Behinderung" reduziert. Sie unterstellten ihr, dass sie in Folge der Behinderung in einem "Heim" lebt, also nicht eigenständig. Dass sie sich auch nicht eigenständig um ihre Gesundheit kümmern kann und wahrscheinlich nicht in der Lage ist, die Tragweite ihres Handelns zu verstehen. Damit auch sehr wahrscheinlich kognitiv eingeschränkt ist. Wir sehen hier eine Kaskade von Vorurteilen und nichts davon stimmt. Lediglich die Tatsache, dass die junge Frau einen Rollstuhl zum "Spazieren gehen" nutz stimmt. Ansonsten geht es hier um eine taffe junge Frau, die selbstbestimmt mit ihrer Katze in ihrer eigenen Wohnung lebt.
Der Begriff Ableismus fordert uns auf, eine Haltung auf Augenhöhe einzunehmen und einen offenen Blick auf unsere Gesellschaft zu haben, der weit über Barrierefreiheit hinausgeht. Er fordert uns auf, keine Einteilungen in Kategorien wie Behinderte und Nichtbehinderte vorzunehmen, sondern vielmehr danach zu fragen, welche Bedürfnisse der einzelne hat und wie wir als Gesellschaft dafür sorgen können, dass alle Menschen teilhaben können.