Antisemitismus
Es ist wenig überraschend, dass in den sich rasant globalisierenden Gesellschaftsverhältnissen, in denen Fragen der Identität und Differenz in virulent werden, auch der Antisemitismus wieder zunimmt. Ethnisierende, nationalisierende wie auch ‚religionisierende‘ Identitätsprojektionen sind immer auch Einfallstore für antisemitische Gegenbilder. Je fundamentaler und ausschließlicher sich eine Person national, ethnisch oder religiös verortet, desto häufiger hängt sie antisemitischen Einstellungen an.
Was ist Antisemitismus? Eine Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) aus dem Jahr 2016 lautet: "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die im Hass auf Juden Ausdruck finden kann. Rhetorische und physische Manifestationen von Antisemitismus richten sich gegen jüdische oder nicht-jüdische Individuen und/oder ihr Eigentum, gegen Institutionen jüdischer Gemeinden und religiöse Einrichtungen."
Quelle: https://www.holocaustremembrance.com/de/resources/working-definitions-charters/arbeitsdefinition-von-antisemitismus (aufgerufen am 06.11.2020).
Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel richten, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden. Antisemitismus umfasst oft die Anschuldigung, die Juden betrieben eine gegen die Menschheit gerichtete Verschwörung und seien dafür verantwortlich, dass "die Dinge nicht richtig laufen". Der Antisemitismus manifestiert sich in Wort, Schrift und Bild sowie in anderen Handlungsformen, er benutzt unheilvolle Stereotype und unterstellt negative Charakterzüge.
Den Begriff Antisemitismus gibt es erst seit 1880. Juden wurden zu dieser Zeit nicht mehr nur als Religionsgemeinschaft, sondern als Rasse verstanden. Antisemitismus hat dabei nichts mit der sprachwissenschaftlichen Einteilung "semitisch" zu tun (zu den semitischen Sprachen gehören Hebräisch, Arabisch und Aramäisch). Insofern ist eine Argumentation, Araber seien ebenfalls Semiten und könnten somit keine antisemitische Haltung einnehmen, unsinnig.
Die IHRA nennt auf seiner Webseite aber auch aktuelle Beispiele von Antisemitismus öffentlichen Leben, in den Medien, Schulen, am Arbeitsplatz und in der religiösen Sphäre können laut IHRA folgendes Verhalten einschließen, ohne darauf beschränkt zu sein:
- Der Aufruf zur Tötung oder Schädigung von Jüdinnen und Juden im Namen einer radikalen Ideologie oder einer extremistischen Religionsanschauung sowie die Beihilfe zu solchen Taten oder ihre Rechtfertigung
- Falsche, entmenschlichende, dämonisierende oder stereotype Anschuldigungen gegen Jüdinnen und Juden oder die Macht der Jüdinnen und Juden als Kollektiv - insbesondere aber nicht ausschließlich die Mythen über eine jüdische Weltverschwörung oder über die Kontrolle der Medien, Wirtschaft, Regierung oder anderer gesellschaftlicher Institutionen durch die Jüdinnen und Juden.
- Das Verantwortlichmachen der Jüdinnen und Juden als Volk für tatsächliches oder unterstelltes Fehlverhalten einzelner Jüdinnen und Juden, einzelner jüdischer Gruppen oder sogar von Nichtjüdinnen und Nichtjuden.
- Das Bestreiten der Tatsache, des Ausmaßes, der Mechanismen (z.B. der Gaskammern) oder der Vorsätzlichkeit des Völkermordes an den Jüdinnen und Juden durch das nationalsozialistische Deutschland und seine Unterstützer und Komplizen während des Zweiten Weltkrieges (Holocaust).
- Der Vorwurf gegenüber den Jüdinnen und Juden als Volk oder dem Staat Israel, den Holocaust zu erfinden oder übertrieben darzustellen.
- Der Vorwurf gegenüber Jüdinnen und Juden, sie fühlten sich dem Staat Israel oder angeblich bestehenden weltweiten jüdischen Interessen stärker verpflichtet als den Interessen ihrer jeweiligen Heimatländer.
- Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.
- Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert wird.
- Das Verwenden von Symbolen und Bildern, die mit traditionellem Antisemitismus in Verbindung stehen (z.B. der Vorwurf des Christusmordes oder die Ritualmordlegende), um Israel oder die Israelis zu beschreiben.
- Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten.
- Das kollektive Verantwortlichmachen von Jüdinnen und Juden für Handlungen des Staates Israel.