Formen von Antisemitismus - Antisemitismus: eine weitere Form des Rassismus?
Antisemitismus (Judenfeindschaft) ist nicht einfach eine weitere Form des Rassismus. Der Begriff steht ausschließlich für eine ablehnende Haltung gegenüber Juden. Antisemitismus ist eine Abwertung von Juden, weil sie Juden sind. Dieser Ablehnung liegt die Annahme zugrunde, alle Juden seien von Natur aus schlecht. Antisemitismus verbindet mit den Juden alles, was als negativ und bekämpfenswert erlebt wird. Viele Ressentiments gegen Juden und antisemitische Mythen halten sich bis heute hartnäckig. Zum Beispiel heißt es, Juden seien ausgesprochen geizig, schlau und hinterlistig oder zettelten Verschwörungen an, sie besäßen große Macht und geradezu bedrohlichen Einfluss in Wirtschaft und Gesellschaft.
Antisemitismus zieht sich durch die Geschichte der Menschheit, weil Menschen immer jemanden und etwas brauchen, von dem sie sich im Guten unterscheiden und dem sie das Schlechte zuschreiben können. Der moderne verschwörungstheoretische und rassistische Antisemitismus knüpft an ältere Formen des Judenhasses an. Jahrhundertelang hatten Juden als einzige nichtchristliche Minderheit inmitten der christlichen Gesellschaften Europas gelebt. Die religiösen Vorurteile vermischten sich im Laufe der Zeit mit wirtschaftlichen und sozialen Faktoren sowie mit rassistischen Denkmustern. Antisemitismus ist in Deutschland bei ca. 20 Prozent der Bevölkerung eine ziemlich gleichbleibende Konstante. Vgl. Antisemitismusbericht des Deutschen Bundestages. Drucksache 17/7700 vom 10.11.2011
Vier Formen des Antisemitismus
(Quelle https://www.holocaustremembrance.com/de/resources/working-definitions-charters/arbeitsdefinition-von-antisemitismus; zuletzt aufgerufen am 06.11.2020)
1.Christlicher Antijudaismus:
Bereits im 1. Jahrhundert nach Christus begann die Dämonisierung des Judentums durch die christliche Kirche, die in dem unhaltbaren Vorwurf gipfelte, "Juden" seien kollektiv an der Kreuzigung Jesu schuld. Gewaltsame Übergriffe und eine Vielzahl antijüdischer Maßnahmen der christlichen Kirche kennzeichneten das Leben von Juden, nachdem das Christentum im 4./5. Jahrhundert zur Staatsreligion des Römischen Reichs wurde. Mit den Kreuzzügen gegen Ende des 11. Jahrhunderts wurden Tausende in antijüdischen Pogromen ermordet. Die Kirche wies der jüdischen Bevölkerung einen Status minderen Rechts zu (z.B. Verbot des Synagogenbaus, Verbannung in Ghettos, Ausschluss von den meisten Berufen). Auch Martin Luther empfahl die Ausweisung der Juden, Arbeitszwang und Verbot der Religionsausübung.
2.Rassistischer Antisemitismus:
Ende des 19. Jahrhunderts keimte in Europa der Rassismus auf und Juden wurden nun als Rasse definiert (heute weiß man, dass es keine menschlichen Rassen gibt), ausgegrenzt und für alle Übel verantwortlich gemacht. Unter der NS-Herrschaft wurde der latente Antisemitismus zum staatlich diktierten Terror. Bis Ende der dreißiger Jahre wurden Juden mehr und mehr entrechtet, bedroht und zur Ausreise gedrängt, die dann ab 1938 zusehends erschwert und 1941 verboten wurde. Parallel dazu nahmen die Deportationen zu und der Auf- und Ausbau von "Vernichtungslagern" begann. Dies mündete schließlich in der Shoah, dem Massenmord an den Juden. Im Gegensatz zum Antijudaismus, der den Weg der christlichen Taufe akzeptierte, ließ der rassistische Antisemitismus keinen Ausweg zu.
3.Sekundärer Antisemitismus:
Nach 1945 ist eine neue Form des Antisemitismus entstanden, der als Erinnerungs- und Verantwortungsabwehr bezeichnet wird. Sekundärer Antisemitismus gründet auf Gefühlen der Scham und Schuld. Es ist ein Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz. Er zeigt sich, wenn der nationalsozialistische Massenmord geleugnet, relativiert oder bagatellisiert wird, wenn Entschädigungs- und Wiedergutmachungsleistungen abgelehnt werden oder wenn gefordert wird, dass endlich ein Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit zu ziehen sei.
4.Israelbezogener Antisemitismus / Antizionismus:
Seit der Gründung des Staates Israel (1948) gibt es einen Antisemitismus, der die Abneigungen gegenüber "den Juden" mit der israelischen Politik im palästinensisch-israelischen Konflikt vermischt. Zumindest teilweise ist der auf Israel bezogene Antisemitismus dem sekundären Antisemitismus zuzuordnen. So spiegelt sich das Motiv der Verantwortungs- und Erinnerungsabwehr in den zahlreichen Vergleichen von israelischer Politik und NS-Diktatur wider.