Aufhebung der früheren Engführung des Pflegeverständnisses in Sicht: Dr. Klaus Wingenfeld, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld, war Referent bei der diesjährigen Mitgliederversammlung der katholischen Alten- und Gesundheitshilfe im Erzbistum Paderborn. (Foto: cpd/Sauer)cpd/Sauer
Ist das ab 2017 greifende Pflegestärkungsgesetz (PSG II) der lang ersehnte „Quantensprung“ in der Versorgung Pflegebedürftiger? Gehören „Minutenpflege“ und die Fixierung der Pflegeversicherung auf körperliche Gebrechen damit der Vergangenheit an? Solche und ähnliche Fragen standen im Mittelpunkt der diesjährigen Mitgliederversammlung der katholischen Alten- und Gesundheitshilfe im Erzbistum Paderborn. Vorsichtig optimistisch gab sich Referent Dr. Klaus Wingenfeld, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld, der über Jahre hinweg die Entstehung dieses Gesetzes begleitet hat. Entscheidend sind für ihn zwei Faktoren: zum einen das neue fachliche Pflegeverständnis, das nicht mehr nur körperliche Beeinträchtigungen in den Blick nimmt, zum anderen die deutlich verbesserten finanziellen Leistungen der Pflegeversicherung.
Die Engführung auf einen zeitlich definierten Bedarf an Unterstützung bei körperlichen Verrichtungen wie Nahrungsaufnahme oder Körperpflege werde mit dem neuen Gesetz aufgegeben. Ab 2017 gilt als einziges Kriterium die individuelle Selbstständigkeit, d. h. bewertet wird, ob und in welchem Umfang der Betroffene in der Lage ist, ohne Unterstützung durch eine andere Person seine Beeinträchtigung zu bewältigen. Bewertet werden in Zukunft auch kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, aber auch die Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte.
Profitieren werden vor allem Demenzkranke, aber auch chronisch kranke Kinder, für die es bislang schwer war, in eine höhere Pflegstufe zu gelangen. Eben diese Pflegestufen werden abgelöst durch fünf Pflegegrade, wobei der erste Grad „geringe Pflegebedürftigkeit“ auch mit einem Präventionsansatz verbunden ist. Insgesamt sei der Pflegegrad 1, so Wingenfeld, „leicht zu erreichen“. Seine Prognose: „Es werden sehr viele Menschen ins System kommen.“
Diese politisch gewollte „Großzügigkeit“ schlägt sich auch in der deutlich verbesserten Finanzausstattung nieder. Wer beispielsweise heute in Pflegestufe 1 bei erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ambulant versorgt wird, kann ab 2017 mit einer Verdoppelung des Betrages für Sachleistungen rechnen, von 689 auf 1298 Euro pro Monat. Wer nun als Anbieter von Pflegeleistungen damit einfach eine zeitliche Ausweitung der Leistungen plant, geht am Sinn des Gesetzes mit der Ausweitung des Pflegeverständnisses vorbei. Wingenfeld: „Es geht um eine Weiterentwicklung des Systems, nicht um ein einfaches Mehr an Leistungen.“ Vor allem im ambulanten Bereich liegen erhebliche Chancen, z. B. durch Leistungen, die den Sozialraum einbeziehen. „Hier ist noch eine Menge konzeptionelle Arbeit zu leisten“, erklärte Wingenfeld.
In der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Alten- und Gesundheitshilfe im Erzbistum Paderborn haben sich 257 Einrichtungen zusammengeschlossen, die rund 30.000 Personen jährlich betreuen. Im Vorjahr hatte die Arbeitsgemeinschaft im Rahmen ihrer Kampagne „Pflegewende – jetzt!“ 20.000 Unterschriften für einen „nationalen Kraftakt“ im Hinblick auf eine menschenwürdige Pflege gesammelt. Pflege brauche mehr Zeit, weniger Bürokratie, mehr Anerkennung und mehr Geld, lauten die zentralen Forderungen. Mehr Infos unter www.pflegewende-jetzt.de.