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Vor dem Hintergrund einer historischen Tankstelle diskutierten Fachleute aus Caritas, Politik, Wirtschaft und Vereinen im Traktorenmuseum in Paderborn das Dorfleben im Jahr 2030. (Foto: cpd / Jonas) |
„Die Dörfer
müssen sich auf ihre Stärken besinnen. Jeder Ort muss seine Bestimmung, seine
Vision finden. Sonst haben wir verloren.“ Dieses Fazit einer Caritas-Fachtagung
zur Mobilität im ländlichen Raum zog Stephan Kreye von der Katholischen
Landvolkshochschule Hardehausen. Im Mittelpunkt der Tagung des
Diözesan-Caritasverbandes Paderborn in Kooperation mit der Landvolkshochschule
stand die Frage: Wie wird das Dorfleben im Jahr 2030 aussehen? Fachleute aus
Caritas, Politik, Wirtschaft, Vereinen und Verwaltung diskutierten vor rund 120
Teilnehmern im Deutschen Traktoren- und Modellauto-Museum in Paderborn
kontrovers Chancen und Risiken des ländlichen Raumes, moderiert von der
Journalistin Elke Vieth.
Rund die Hälfte des Erzbistums Paderborn gehöre zum ländlichen Raum, sagte
Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig. Der Caritasverband als Stifter von
Solidarität wolle deshalb aktiv Probleme der demografischen Entwicklung
aufgreifen und auf Ideen zu deren Lösung aufmerksam machen. Als ein
Hauptproblem des ländlichen Raumes identifizierten die Diskussionsteilnehmer
die ärztliche Versorgung. „In Ostwestfalen-Lippe ist das ein Riesenthema“,
sagte Reinhold Stücke, Vorsitzender des Regionalrates im Regierungsbezirk
Detmold. Zur Untersuchung des Problems habe man eine neue Kommission
eingerichtet. Aber die Politik könne nur Rahmenbedingungen setzen, dämpfte
Reinhold Stücke Erwartungen.
Von der Situation eines Arztes auf dem Land berichtete der Allgemeinmediziner Dr.
Michael Stolz aus Höxter-Fürstenau. Auch wenn die Bevölkerungszahl gesunken
sei, habe sich die Zahl der Patientenbesuche mehr als verdoppelt. Dennoch sei
es absehbar, dass in zehn Jahren ein Großteil der Ärzte der Umgebung in
Ruhestand gehe. „Und es ist nicht absehbar, dass die Praxen wiederbesetzt
werden.“ Als derjenige, „der die Totenscheine schreibt“, sehe er für die
ärztliche Versorgung auf dem Lande schwarz. „Nur noch in Städten wird es Ärzte
geben, die Patienten werden fahren müssen.“
Die demografische Entwicklung sei „kein Schreckgespenst“, sagte dagegen Michael
Stickeln, Bürgermeister von Warburg. „Es kann eine Chance sein, aber wir müssen
in die Hände spucken.“ In den Warburger Dörfern sei man dazu übergegangen,
leerstehende Gebäude oder Bauernhöfe abzureißen und an ihrer Stelle – statt am
Ortsrand – Neubaugebiete auszuweisen. „Die Leitungen liegen schon unter der
Erde und angrenzende Grundstücke werden aufgewertet.“
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Diskutierten im Traktorenmuseum in Paderborn engagiert Chancen und Risiken des demografischen Wandels für den ländlichen Raum (von links): Matthias Krieg (Organisator, Diözesan-Caritasverband), Moderatorin Elke Vieth, Ralf Heckmann (Caritas Soest), Friedhelm Suermann (Dalhausen), Dr. Michael Stolz (Fürstenau), Bruno Ising (Dahl), Klara Lammers (Hardehausen), Johannes Lücking (Brakel), Elke Funke (Olsberg), Stephan Kreye (Landvolkshochschule Hardehausen), Kreisdirektor Klaus Schuhmacher (Höxter), Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig, Krimiautorin Kathrin Heinrichs, Adolf Reddemann (Manrode), Jutta Schmidt (Brenken), Monika Schröder (Falkenhagen), Bürgermeister Michael Stickeln (Warburg) und Reinhold Stücke (Vorsitzender Regionalrat). (Foto: cpd / Jonas) |
Ein „Segen
für den ländlichen Raum“ seien die Autos der Zukunft, prognostiziert Johannes
Lücking, Fachmann für computerunterstütztes Konstruieren aus Brakel. Bis 2030
seien Autos in der Lage, ihre Insassen vollautonom ans Ziel zu bringen, sagten
Experten voraus. Damit könne sich mittels „Car-Sharing in Perfektion“ jeder von
selbstfahrenden Autos zu Hause abholen und an jedes beliebige Ziel bringen
lassen – ein bedeutender Fortschritt für Menschen, die nicht oder nicht mehr
Auto fahren können. Die Landflucht werde sich umkehren, erklärt Jutta Schmidt,
Ortsvorsteherin des Bürener Ortsteils Brenken. Grundstücke in der Stadt würden
unbezahlbar. „Da nehmen die Leute einen weiteren Weg in Kauf.“
Dass vermehrt junge Familien aus den Ballungsgebieten zurück in die behütete
Umgebung des ländlichen Raumes ziehen, beobachtet auch Höxters Kreisdirektor
Klaus Schuhmacher. „Auf dieses idyllische, sichere Umfeld sollten wir stolz
sein.“ Für die Entwicklung des ländlichen Kreises Höxter habe man kreisweit
insgesamt 190 Vorschläge für die nächsten fünf Jahre zusammengetragen. Die Idee
eines „Mehrgenerationen-Dorfes“ schilderte Adolf Reddemann, Vorsitzender des
Heimatvereins von Borgentreich-Manrode, ein Dorf, in dem Jung und Alt sich
gegenseitig helfen. Letztlich sei der menschliche Kontakt nicht zu ersetzen,
auch nicht durch das schnelle Internet, ergänzte Dr. Michael Stolz und verwies
auf das Bild des Treffens am „Dorfbrunnen“. Möglichkeiten der
Gemeinschaftsbildung seien zentral für das Überleben des Dorfes.
Positive Beispiele für eine mobile Versorgung von kleinen Dörfern schilderten
Ralf Heckmann vom Caritasverband Soest und Bruno Ising, Einzelhändler aus Dahl
bei Paderborn. So will die Caritas Soest noch vor den Sommerferien in fünf
Dörfern einmal wöchentlich eine mobile Tagespflege für Senioren anbieten. In
Kooperation mit ehrenamtlichen Mitarbeitern von Caritas-Konferenzen sollen
Pflegebedürftige in Räumlichkeiten der Kirchengemeinde Abwechslung vom Alltag
erleben.
Die schwierige Situation von Einzelhändlern in Dörfern beschrieb Bruno Ising
aus Dahl. Ein Heimlieferservice helfe ihm, vor allem ältere Kunden trotz
Konkurrenz durch Einkaufszentren im nahen Paderborn anzusprechen. Doch
Arbeitsplätze im dörflichen Einzelhandel zu besetzen sei extrem schwierig
geworden. „Ich finde keine Mitarbeiter.“ Ein Umstand, den auch die
Unternehmerin Elke Funke aus Olsberg-Bigge Inhaberin einer Metzgerei mit
Partyservice, beklagte. Angesichts dieser Personalprobleme und der immer
höheren bürokratischen Hürden für mittelständische Handwerksbetriebe lohne es
sich eigentlich nicht mehr, einen Betrieb zu eröffnen.