Angesichts der dramatischen Situation am Flughafen Kabul mahnt der Flüchtlingsbeauftragte des Erzbistums Paderborn eine bestimmte Personengruppe nicht aus dem Blick zu verlieren: "Nicht nur Ortskräfte und andere gefährdete Menschen verdienen unsere Solidarität, sondern auch Familienangehörige von in Deutschland lebenden Schutzberechtigten aus Afghanistan", erklärt Josef Lüttig, zugleich Diözesan-Caritasdirektor im Erzbistum Paderborn. Diese Gruppe kämpfe nicht erst seit einigen Tagen um ihre Ausreise: Seit 2017 wurden dem gesetzlichen Anspruch auf Familiennachzug hohe Hürden entgegengesetzt. Angehörige von anerkannten Flüchtlingen aus Afghanistan mussten nach der Schließung der Botschaft in Kabul für einen Visumsantrag bei einer deutschen Vertretung in Indien oder Pakistan vorsprechen. "Dafür mussten sie lange Wartezeiten in Kauf nehmen und überhaupt finanziell dazu in der Lage sein", so Lüttig. Hatten sie vorgesprochen, war wiederum Ungewissheit angesagt.
Unter den Taliban sei für die ausreisewilligen Angehörigen Schlimmes zu befürchten. "Es ist davon auszugehen, dass Vorsprachen bei den deutschen Botschaften in den benachbarten Ländern verboten sein werden. Dann haben viele Familien ein dauerhaftes Problem. Und dies wiederum wirkt sich nachteilig für den Integrationsprozess hier lebender Angehöriger aus", so der Flüchtlingsbeauftragte. Nach Auffassung von Josef Lüttig ist viel vom aktuellen Leid ein Produkt unnötiger Bürokratie der Behörden. Insbesondere für sogenannte Altfälle sei die Politik gefordert, humane und pragmatische Lösungen zulassen. "Um dauerhafte Trennungen von Familienangehörigen zu vermeiden, muss zumindest bei Altfällen die Einreise nach Deutschland ermöglicht werden, wo sie dann das Visumsverfahren durchlaufen können", so der Flüchtlingsbeauftragte.
Für viele Haupt- und Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe sei gerade das ungelöste Problem des Familiennachzugs aus Afghanistan extrem belastend, viele hätten seit langem das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen. "Sie bemühen sich teilweise seit Jahren um eine Lösung für ihre Anvertrauten, arbeiten unermüdlich Behörden, Botschaften und Ministerien zu und müssen sich am Ende oft die Frage stellen, ob der Einsatz nicht vergeblich gewesen ist."