Gruppen mit spezifischem Diskriminierungsrisiko
Auch wenn jedes Individuum eine Ausprägung der jeweiligen im AGG geschützten Merkmale hat oder ihr/ihm eine solche Ausprägung zugeordnet werden kann (z. B. haben alle Personen eine ethnische Zugehörigkeit, ein Alter, ein Geschlecht etc.) und somit jede/jeder theoretisch auf Basis jedes dieser Merkmale Diskriminierung erfahren könnte, sind dennoch Personen, die bestimmten Gruppen zugeordnet werden, in stärkerem Maße von Diskriminierung betroffen:
Diskriminierungserfahrungen in unterschiedlichen Lebensbereichen
1 Rassistische Diskriminierungen und Diskriminierungen anhand der (ethnischen) Herkunft
Das Risiko, aus rassistischen Gründen oder anhand der (ethnischen) Herkunft Diskriminierung zu erfahren, ist für Personen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund deutlich erhöht. Rassistische Diskriminierungen sind zudem häufig mehrdimensional mit Benachteiligungen anhand der Religion und Weltanschauung und der sozioökonomischen Lage verschränkt. Es zeigt sich, dass rassistische Diskriminierungserfahrungen in allen erfassten Lebensbereichen häufig vorkommen.
Im Bildungsbereich werden solche Benachteiligungen vor allem von Personen mit einer Herkunft aus den MENA-Staaten erfahren. Eine zentrale Form ist hierbei eine schlechtere Leistungsbewertung, die aus der Perspektive der Betroffenen ihren Ursprung in rassistischen Einstellungen hatte.
Auch im Arbeitsleben wird Diskriminierung aus rassistischen Gründen bzw. anhand der (ethnischen) Herkunft erfahren. Im Bereich der Ausbildung sind abermals besonders Personen aus den MENA-Staaten und der Türkei benachteiligt. Im Berufsleben ist das Diskriminierungsmerkmal der (ethnischen) Herkunft auch innerhalb des Fallbilds des Mobbings überrepräsentiert: Personen sind aus rassistischen Gründen herabwürdigenden Behandlungen ausgesetzt.
Auch bei der Wohnungssuche erfahren Personen aus rassistischen Gründen Nachteile, wobei wiederum Personen aus der Türkei, anderen MENA-Staaten und auch anderen asiatischen Ländern besonders betroffen sind. Innerhalb der genannten Erfahrungen verschränken sich rassistische Gründe zudem oft mit dem nicht im AGG geschützten Merkmal der Familiensituation: Vor allem kinderreiche Familien mit nicht deutscher Herkunft sind auf dem Wohnungsmarkt stark benachteiligt.
Im Gesundheitsbereich treten rassistische Diskriminierungserfahrungen sowohl in Form materieller Benachteiligungen als auch sozialer Herabwürdigungen
Aus dem Bereich der Ämter und Behörden, genauer bei Ausländerbehörden, Einwohnermelde- und Bürgerämtern und vor allem der Polizei, werden insbesondere Benachteiligungen in Form sozialer Herabwürdigungen berichtet. Hierunter fällt auch das Erfahren rassistischer Diskriminierungen bei verdachtsunabhängigen Polizeikontrollen, das sog. Racial Profiling. Auch die Gestaltung des täglichen Lebens und der Freizeit der Betroffenen wird durch rassistische Diskriminierung stark beeinträchtigt. Bei Diskriminierungserfahrungen in der Öffentlichkeit und Freizeit handelt es sich sowohl um verbale als auch körperliche Gewalt. Diese betreffen vor allem Personen mit einem vermeintlich ‚nicht deutschen‘ Erscheinungsbild und damit einhergehender äußerer Merkmale.
Auch im Lebensbereich der Geschäfte und Dienstleistungen werden rassistische Diskriminierungserfahrungen häufig anhand äußerer Merkmale, wie beispielsweise der Hautfarbe, gemacht. Hierbei handelt es sich etwa um den verwehrten Zugang für bestimmte Personen aus rassistischen Gründen bei Einlasskontrollen u. a. zu Clubs und Diskotheken. Hierbei ergeben sich auch mehrdimensionale Verschränkungen mit den Merkmalen Geschlecht und Alter: Insbesondere junge Männer einer (vermeintlich) nicht deutschen Herkunft sind von Diskriminierungen bei derartigen Einlasskontrollen betroffen.
2 Diskriminierungen anhand des Geschlechts bzw. der Geschlechtsidentität
Frauen erleben auch überproportional häufig Geschlechtsdiskriminierungen im Arbeitsleben, worunter die unterschiedlichsten Bereiche fallen: Diskriminierung im Arbeitsleben reicht vom Praktikum über die Arbeitssuche und Bewerbungsverfahren bis hin zu Benachteiligungen innerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses. Frauen berichten sowohl von einer schlechteren Entlohnung und einer schlechteren Bewertung ihrer Leistungen im Vergleich zu Männern als auch von einer Verweigerung beruflicher Aufstiegsmöglichkeiten durch ein diskriminierendes Übergehen bei Beförderungen.
Frauen berichten besonders häufig von sexualisierten Übergriffen im Bereich der Öffentlichkeit und Freizeit, die dabei vielfach auch mit dem Merkmal der sexuellen Orientierung verschränkt sind und somit insbesondere lesbische Frauen betreffen. Besorgniserregend ist hierbei, dass sich rund ein Drittel der betroffenen Frauen nicht gegen diese Übergriffe zur Wehr setzt, sondern versucht, diese zu ignorieren. Von Diskriminierungen in der Öffentlichkeit und Freizeit sind aber nicht nur Frauen betroffen. In der Betroffenenbefragung berichten auch Trans*- und Inter*Personen von massiven verbalen und körperlichen Übergriffen. Diese gehen dabei vielfach mit sexuellen Übergriffen einher. Aber auch in anderen Lebensbereichen erleben Trans*- und Inter*-Personen Benachteiligungen, die oft ihren Ursprung in normativen binären Vorstellungen von Geschlecht haben. Zudem erleben Trans*- und Inter*-Personen Diskriminierungen im Gesundheitsbereich dadurch, dass ihre Lebenssituation nicht berücksichtigt wird: Im Arbeitsleben erfahren Trans*- und Inter*Personen Diskriminierung vor allem bei der Arbeitssuche und im Bewerbungsverfahren. Hier berichten die Betroffenen beispielsweise davon, dass Geschlechtsangleichungen durch Namensinkongruenzen auf Zeugnissen zwangsläufig offenbart werden, was dann durch Vorbehalte aufseiten der Arbeitgeber zu Nachteilen bei der Stellenvergabe führt.
3 Diskriminierungen anhand der Religion oder Weltanschauung
Die Religion oder Weltanschauung ist noch immer ein häufiger Ausgangspunkt von Diskriminierungen. In der Repräsentativbefragung zeigt sich deutlich, dass Personen mit einer nicht christlichen Religionszugehörigkeit besonders stark und Konfessionslose und Christen und Christinen in ähnlichem und im Vergleich zur erstgenannten Gruppe deutlich geringerem Maße anhand der (nicht vorhandenen) Religionszugehörigkeit Benachteiligung erfahren. Personen mit einer nicht christlichen Religionszugehörigkeit haben außerdem ein allgemein erhöhtes Risiko, Diskriminierung auch anhand anderer Merkmale als der Religion zu erfahren.
Im Bildungsbereich erfahren insbesondere Personen mit einer Zugehörigkeit zum Islam oder Alevitentum, aber auch atheistische oder konfessionslose Personen Benachteiligung. Hier geht es beispielsweise um einen verwehrten Zugang zu kirchlich getragenen Kindertagesstätten, die eine bestimmte Religionszugehörigkeit oder Konfession als Aufnahmekriterium festlegen. Diskriminierende Leistungsbewertungen werden vor allem von Muslimen und Musliminnen berichtet.
Auch aus dem Gesundheits- und Pflegebereich werden Diskriminierungen anhand der Religionszugehörigkeit berichtet, und zwar insbesondere in Form sozialer Herabwürdigungen.
Im Bereich der Öffentlichkeit und Freizeit wird religiöse Diskriminierung häufig in Form von verbaler und körperlicher Gewalt erfahren. Dies betrifft vor allem muslimische Personen. Hierbei spielt das Kopftuch als deutlich erkennbares äußeres Merkmal der Religionszugehörigkeit eine große Rolle.
Auch im Arbeitsleben erfahren Personen anhand ihrer Religionszugehörigkeit Benachteiligungen. Innerhalb des Fallbilds der diskriminierenden Nichteinstellungen berichten sowohl Konfessionslose als auch Muslime/Musliminnen, dass sie wegen ihrer Religionszugehörigkeit oder des Fehlens eben dieser eine Stelle nicht bekommen haben. Hierbei handelt es sich häufig um kirchlich getragene Arbeitsstellen im karitativen Bereich, bei denen eine bestimmte Religionszugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung gilt. Bei der Stellensuche wird zudem erneut die ‚Symbolwirkung‘ des Kopftuchs deutlich: Zum großen Teil werden Nichteinstellungen anhand der islamischen Religionszugehörigkeit von Frauen berichtet, die regelmäßig ein Kopftuch tragen.
4 Diskriminierungen anhand einer Behinderung, Beeinträchtigung bzw. chronischen Krankheit
Es zeigt sich, dass Personen mit einem geringen Einkommen ein erhöhtes Risiko aufweisen, anhand einer Beeinträchtigung Diskriminierung zu erfahren. Wer also nicht über entsprechende finanzielle Ressourcen verfügt, um Benachteiligungen möglicherweise selber zu kompensieren, erfährt häufiger Diskriminierung anhand einer Beeinträchtigung. Benachteiligungen, die entstehen, weil ihre Lebenssituation nicht berücksichtigt wird. so ist der Gesundheits- und Pflegebereich besonders relevant. Einerseits erleben Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen, dass Ärzte und Ärztinnen und Pflegepersonal sie auch als kognitiv eingeschränkt betrachten und behandeln. Andererseits machen Personen mit psychischer Beeinträchtigung die Erfahrung, dass körperliche Beschwerden beständig als psychosomatisch eingestuft und nicht ernst genommen werden. Auch beinhalten die Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitsbereich häufig eine Verweigerung von bestimmten Therapiemaßnahmen oder Hilfsmitteln, was dann zu Benachteiligungen führt und oftmals eine gesellschaftliche Teilhabe verhindert.
Auch im Arbeitsleben sind Menschen mit Beeinträchtigung von Diskriminierung betroffen. Hier berichten sie von nicht erfolgten Einstellungen, die aus Vorurteilen seitens des Arbeitgebers über mangelnde Kompetenzen von Personen mit Beeinträchtigung resultieren und auch aus überzogenen Vorstellungen davon, wie viel Assistenz sie in ihrer Arbeit benötigen.
Der Bildungsbereich zeigt sich ebenfalls als nicht ausreichend inklusiv. Es wird von einer Vielzahl von Diskriminierungen von Personen mit insbesondere psychischen Beeinträchtigungen oder ihren Eltern berichtet. Innerhalb des Fallbilds des verwehrten Zugangs zu Bildungseinrichtungen schildern vor allem Eltern Schwierigkeiten bei der Aufnahme ihrer Kinder mit körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen in eine Kindertagesstätte oder Schule.
Bei Geschäften und Dienstleistungen, hier insbesondere im Gaststätten- und Unterhaltungsbereich, wird von den Betroffenen besonders häufig die mangelnde Barrierefreiheit als zentrales Problem angegeben. Diese betrifft dementsprechend vor allem Personen mit einer körperlichen Beeinträchtigung und bedeutet für sie ein massives Hindernis im täglichen Leben und in der Freizeitgestaltung. Die fehlende Barrierefreiheit wird auch in Ämtern und Behörden.
aus der Benachteiligung durch die fehlende Barrierefreiheit kann in der Folge für Menschen mit Beeinträchtigungen auch ein ganz grundlegendes Gefühl des Ausschlusses und der verwehrten gleichberechtigten Teilhabe entstehen.
5 Diskriminierungen anhand des Lebensalters
Gerade weil das Erfahren von Diskriminierung anhand des Lebensalters nicht nur auf spezifische Altersgruppen beschränkt ist, betrifft Altersdiskriminierung so große Teile der Gesellschaft. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass das Lebensalter das in der Repräsentativbefragung am häufigsten genannte Diskriminierungsmerkmal ist.
Insbesondere bei älteren Menschen könnte es der Fall sein, dass sie in geringerem Maße für das Thema Diskriminierung sensibilisiert sind und dementsprechend weniger häufig für sie nachteilige Erfahrungen als Diskriminierung erkennen und benennen. Zudem sind Diskriminierungserfahrungen anhand des Lebensalters vielfach mehrdimensional mit dem
Merkmal Geschlecht verbunden.
Das Lebensalter als Diskriminierungsmerkmal ist insoweit besonders, als dass alle Menschen anhand dessen potenziell von Diskriminierung betroffen sein können und in Lebensphasen waren, sind oder kommen werden, in denen Altersdiskriminierung besonders relevant ist. Dabei werden Menschen in unterschiedlichen Kontexten als zu jung oder zu alt wahrgenommen und erfahren deshalb Benachteiligung. Häufig steht hinter den Diskriminierungen, dass Menschen anhand ihres Lebensalters bestimmte Fähigkeiten entweder noch nicht oder nicht mehr zugetraut werden.
6 Diskriminierungen anhand der sexuellen Orientierung
Benachteiligungserfahrungen anhand der sexuellen Orientierung werden beinahe ausschließlich von nicht heterosexuellen Personen gemacht.
Auch aus dem Gesundheits- und Pflegebereich berichten homosexuelle Paare von Benachteiligungen, die sich auf die Familienplanung auswirken. Besonders aus der Öffentlichkeit und dem Freizeitbereich wird hier von Diskriminierungen in Form verbaler und körperlicher Gewalt berichtet, denen Personen, die als homosexuell identifiziert werden, vielfach ausgesetzt sind.
Lesben sind dabei deutlich häufiger als Schwule auch von sexualisierten Übergriffen betroffen, Im Bildungsbereich und dort insbesondere in der Schule, die eigentlich ein geschützter Raum für Heranwachsende sein sollte, die sich in der eigenen Identitätsbildung befinden, erleben nicht heterosexuelle Jugendliche Diskriminierung. Mädchen bzw. Frauen und Jungen bzw. Männer sind dabei gleichermaßen Benachteiligung ausgesetzt. Hierbei handelt es sich in der Schule in erster Linie um homophobes Mobbing, das von Mitschülern und Mitschülerinnen ausgeht. Diskriminierungen anhand der sexuellen Orientierung geht bis in das Berufsleben hinein: Auch aus dem Arbeitsumfeld berichten nicht heterosexuelle Personen von diskriminierendem Mobbing anhand ihrer sexuellen Orientierung. In Bewerbungsverfahren spielt die sexuelle Orientierung generell eine geringere Rolle - auch deshalb, weil die sexuelle Orientierung hier zumeist nicht thematisiert wird.
7 Diskriminierungen anhand nicht im AGG geschützter Merkmale
In der vorliegenden Untersuchung wurden auch Diskriminierungserfahrungen anhand nicht im AGG geschützter Merkmale erfragt. Von besonderer Relevanz waren dabei erlebte Benachteiligungen anhand der sozioökonomischen Lage, d. h. anhand eines zu niedrigen Einkommens oder eines zu geringen Bildungsstands. In der Repräsentativbefragung war die sozioökonomische Lage sogar das am zweithäufigsten genannte Merkmal. Hierbei finden sich auch Hinweise auf mehrdimensionale Zusammenhänge: Personen mit Migrationshintergrund erfahren häufiger Diskriminierung anhand eines geringen Bildungsstands, Personen mit Beeinträchtigung erleben häufiger Benachteiligung anhand des niedrigen Einkommens.
Besonders im Bildungsbereich spielt die sozioökonomische Lage als Diskriminierungsmerkmal eine große Rolle. Im Bereich der Kinderbetreuung wird häufig das elterliche Einkommen als Ausgangspunkt von Benachteiligungen benannt. In Schule und Hochschule werden Benachteiligungen ebenfalls anhand des elterlichen Bildungsstands erlebt. Die sozioökonomische Lage ist also auch aus Sicht der Betroffenen ein entscheidender Faktor, der den eigenen Bildungsweg oder den der Kinder stark beeinflusst.
Im Bereich der Geschäfte und Dienstleistungen wird in der Betroffenenbefragung insbesondere von Benachteiligungen anhand des Einkommens berichtet. Beispielswese werden hier schlechtere Konditionen bei Finanzdienstleistungen als diskriminierend erlebt, die mit einem geringen Einkommen verknüpft sind.
Ein niedriges Einkommen als Indikator der sozioökonomischen Lage ist auch auf dem Wohnungsmarkt und der dortigen Vergabe von Mietwohnungen ein häufig genanntes Diskriminierungsmerkmal. Innerhalb der geschilderten Benachteiligungserfahrungen ergeben sich dabei auch vielfach mehrdimensionale Verschränkungen etwa mit der ethnischen Herkunft, einem jungen Lebensalter sowie der Familiensituation (bspw. einer hohen Kinderanzahl),
Auch im Bereich der Ämter und Behörden, v. a. beim Sozialamt, Jobcenter, Jugendamt und Gericht, erleben Menschen Diskriminierung anhand der sozioökonomischen Lage. Diese treten dann häufig in Form einer herabwürdigenden Handlung auf: Betroffene fühlen sich von oben herab behandelt und nicht ernst genommen.