Gerechtigkeit
„Diese Szene spielt sich in der Zeit des geteilten Deutschlands an der Grenze zwischen Ost- und West-Deutschland ab. Der Junge fleht den Soldaten an, auf die andere Seite (zu seiner Familie) zu dürfen. Der Soldat hilft ihm schließlich und bringt ihn auf die andere Seite. Dafür muss er mit seinem Leben bezahlen – weil das Überqueren der Sperrzone streng verboten war.“ (Ostad Azimi)(Künstler: Ostad Azimi)
Gerechtigkeit ist aus meiner Sicht ein äußerst subtiler Begriff. Er geht sowohl in die Tiefe als auch in die Weite. Allerdings ist er auch sehr einzigartig, weil das Phänomen der Gerechtigkeit sowohl eine Gegebenheit als auch ein Prozess sein kann. Der Ursprung kann ebenso unterschiedlich sein.
Man kann Gerechtigkeit definieren und beschreiben. Es gibt rechtliche, politische und moralische Merkmale, um Gerechtigkeit zu erklären. Wenn es danach geht, bedeutet Gerechtigkeit Fairness, Solidarität, Loyalität, gegenseitiger Respekt sowie Toleranz und Akzeptanz. Jeder bekommt ganz genau das, was er sich verdient hat. Mit harter Arbeit erhält jeder seinen gerechten Lohn, wird also für seine große Mühe und Leistung bezahlt. Die harte Arbeit und gute Leistung werden angenommen und anerkannt. Jedes Schulkind hat ein Anrecht darauf, in eine Schulgruppe aufgenommen zu werden, wenn es dazugehören und sich geborgen fühlen oder eine gute Zensur erhalten möchte. Jeder Mensch mit Migrations- oder Fluchthintergrund hat ein Anrecht darauf, integriert zu werden oder die Chance und Mittel dafür zu bekommen, sich selbstständig zu integrieren. Jede alleinerziehende Mutter hat ein Anrecht darauf, staatliche Zuschüsse für den Lebensunterhalt zu bekommen, wenn der Vater nicht da ist, um den Lebensunterhalt mitzufinanzieren. Jeder Mensch hat ein Anrecht darauf, etwas zu essen und einen Schlafplatz zu haben, damit er keinen Hunger und keine Kälte erleidet. Jeder Mensch hat ein Anrecht darauf, glücklich zu sein und zu lachen, aber auch zu trauern und zu weinen. Tränen gehören im Leben dazu und dass jeder Tränen vergießen darf, damit er oder sie sich danach erleichtert und befreit fühlt, ist einfach fair und gerecht. Jedem muss das Recht gewährt werden, ein Leben zu leben.
Jedoch ist die vielfältige Definition von Gerechtigkeit nur einer der vielen Bausteine. Gerechtigkeit ist ein Geben und Nehmen: Geben zu wollen, ohne oder ohne viel dafür nehmen zu wollen. Sich ehrenamtlich zu engagieren, ohne dafür Geld zu verdienen. Flüchtlinge aufzunehmen, die einen schlimmen Lebensweg hinter sich haben, ohne dafür vergütet zu werden. Obdachlosen ein warmes Bett und eine warme Mahlzeit zu geben, ohne dazu aufgefordert zu werden. Gerechtigkeit muss von jedem Menschen ausgehen, ganz egal ob von einer Privatperson oder von Mitarbeitern von Institutionen, Bildungseinrichtungen, Unternehmen, Betrieben, aber auch von Freunden, Lebenspartnern und Familien. Ganz egal ob auf der Arbeit oder zu Hause. Der Glaube an und das Bewusstsein für Gerechtigkeit fängt bei jedem Menschen selbst an.
Es ist die seelische Bereitschaft zu teilen. Daher muss Gerechtigkeit in erster Linie im Kopf stattfinden. Wer nicht daran glaubt, der oder die kann auch keine Gerechtigkeit "aufbauen". Dazu gehört es auch, eigene Verluste auszuhalten und zu akzeptieren, wenn man weiß, dass es für einen guten Zweck war, etwas zu teilen oder sogar für jemanden zu opfern. Konzessionen und Kompromisse mit sich selbst einzugehen macht Gerechtigkeit ebenfalls aus. Es ist der Sinn, den man darin erkennt, Gerechtigkeit zu leben, der einen stark macht und stark hält. Wenn jeder den Sinn darin erkennt, zu teilen und zu geben, ohne dafür zu viel zu verlangen, dann ist Gerechtigkeit da. Ohne sie "generieren" zu müssen, kann sich Gerechtigkeit durchaus entwickeln.
Für mich persönlich beginnt Gerechtigkeit zuallererst im Kopf. Gerechtigkeit muss gedacht und gefühlt werden. Das Bewusstsein für Gerechtigkeit ist die Voraussetzung, damit diese entstehen kann. Man muss fest daran glauben, dass es sie geben und sie gelebt werden kann. Entweder sie wird erschaffen oder es wird an sie geglaubt, sodass sie sich von ganz allein entwickeln kann. Ohne den Glauben an sie ist meiner Meinung nach keine Gerechtigkeit möglich und bleibt lediglich eine Utopie und Illusion.
Allerdings kann Gerechtigkeit auch von Anfang an da sein. Denn man muss sie nur entdecken. Schließlich weiß man nur, dass sie da ist, wenn man sie auch sieht. Und wenn man sie entdeckt, dann kann man sie auch für sich und gemeinsam leben. Also egal ob Gerechtigkeit entdeckt und erkannt, erschaffen wird oder von ganz allein entsteht - sie ist da und sie kann da sein. Auf diesem Weg kann man globaler Armut entgegenwirken und Menschen die Freiheit geben, so zu sein wie sie sind, nur weil sie nicht den klassischen gesellschaftlichen Normen entsprechen. Leider ist es nicht so einfach, überall für Gerechtigkeit zu sorgen, weil die Sensibilität dafür nicht in jedem Menschen existiert. Noch gibt es leider zu viel Armut, Tod, Ungleichbehandlungen auf der Welt. Es liegt letztlich in der Hand jedes einzelnen Individuums auf unserem Planeten, wie Gerechtigkeit erkannt oder erschaffen und gelebt werden kann oder wie sie sich eigenmächtig entwickelt. Man muss sie eben sehen, fühlen und leben können…und ganz besonders wollen.