Fixierung auf Herkunft
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Es scheint so, als ob viele Menschen mit Unsicherheiten nur umgehen können, wenn sie mit wenigen Fragen und Informationen (z. B. zur Herkunft) "auf alles andere" schließen können. Wann ist es "vormodern" und "uncool", Menschen nach ihrer Herkunft zu fragen?
Im März 2014 dokumentierte eine Untersuchung des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration zur Diskriminierung am Ausbildungsmarkt, dass in Deutschland die Herkunft entscheidenden Einfluss auf beruflichen Erfolg hat. Während Bewerber mit deutschem Namen durchschnittlich nur fünf Bewerbungen schreiben müssen, bis sie zu einem Vorstellungsgespräch für eine Ausbildung eingeladen werden, braucht ein Bewerber mit türkisch klingendem Namen bei gleicher Qualifikation sieben Anläufe.
Es gibt in Deutschland und vielfach in Europa eine merkwürdige Fixierung auf Herkunft - anders als in den klassischen Einwanderungsländern wie z.B. den USA und Kanada. Es scheint so, als ob viele Menschen mit Unsicherheiten nur umgehen können, wenn sie mit wenigen Fragen und Informationen (z.B. zur Herkunft) "auf alles andere" schließen können. Als ob sie sich darauf verlassen wollen, dass Menschen das tun, was ihrer Herkunft gemäß ist. Als ob es zwangsläufig eine Fortsetzung geben müsste zwischen "Herkunft" und "Gegenwart".
Viele in Deutschland geborene Kinder von Migranten, die oft die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, werden häufig nicht nur mit der Frage konfrontiert "Woher kommst Du?", sondern auch mit der sich in der Regel anschließenden zweiten Frage "Woher kommst Du wirklich?" oder "Woher kommt Deine Familie?". Für sie ist das eine frustrierende Erfahrung, denn so wird ihnen von ihren Gegenübern ein Gefühl des Nichtdazugehörens vermittelt, ganz gleich, wie weit die eigene Anpassungs- und Integrationsleistung auch geht bzw. ging. Sie fragen sich manchmal, wie lange man in Deutschland leben muss, wie sehr man sich anpassen muss, um nicht immer und immer wieder über die Herkunft eines möglicherweise vor Jahrzehnten eingewanderten Elternteils definiert zu werden? Und welchen Unterschied macht es eigentlich, woher die Familie stammt?
Hinzu kommt, dass die, denen die ‚Herkunftsfrage‘ gestellt wird, als "ethnisch und kulturell auffällig" wahrgenommen und eingestuft werden. Meistens aufgrund ihres Aussehens. Die Herkunftsfrage zielt daher auf mehr als auf eine bloße Ortsangabe. Offensichtlich gibt es weiterhin eine - fiktive - Vorstellung des "normgerechten Deutschen”. Alle, die von dieser Normvorstellung zu sehr abweichen, müssen irgendwo anders verortet werden. Sie müssen sich als Angehöriger einer anderen national ethnisch und kulturell definierten Gruppe, die NICHT deutsch ist, zuzuordnen oder zuordnen lassen. Und diese Zuordnung ist verbunden mit Zuschreibungen, Bewertungen und oft der Aussage "Aber Du gehörst nicht (so richtig) dazu".
Wann kann aber das Besondere oder das Unterschiedliche betont werden? Wann kann z. B. nach der Herkunft gefragt werden? Immer dann
- wenn es um Wertschätzung und nicht um Bloßstellung geht,
- wenn die Person es selbst will und möglicherweise davon einen Vorteil hat,
- wenn Unterschiede dadurch nicht ständig neu erzeugt werden,
- wenn es einen relevanten Zusammenhang zwischen Herkunft und Gegenwart gibt.