Befassten sich mit den Ursachen von Kinderarmut in Deutschland (von links): Domkapitular Dr. Thomas Witt (Vorsitzender Diözesan-Caritasverband Paderborn), Reinhild Steffens-Schulte (Geschäftsführerin Diözesangeschäftsstelle SkF und SKM), Cäcilia Kaufmann (SkF-Diözesanvorsitzende), Dr. Tina Emmler (Referentin Diözesangeschäftsstelle), Stephan Buttgereit (SKM-Generalsekretär), Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Huberta Freifrau von Boeselager (SkF-Bundesvorstand) und Helmut Feldmann (SKM-Diözesanvorsitzender).cpd / Jonas
Auf die Gefahr zunehmender Armut in Deutschland hat der Armutsforscher Christoph Butterwegge hingewiesen. Er befürchte eine steigende Zahl von Obdachlosen, verelendeten Drogenabhängigen und illegalisierten Flüchtlingen, sagte Butterwegge bei der Delegiertenversammlung der Sozialdienste katholischer Frauen (SkF) und Männer (SKM) im Erzbistum Paderborn. Die Betroffenen seien nicht mehr in der Lage, ihre Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wohnen oder medizinische Versorgung zu decken. Er sehe die Gefahr einer „ethnischen Unterschichtisierung“, einer vor allem Migranten betreffenden Armut, sagte Butterwegge in der Bildungsstätte Liborianum in Paderborn.
Daneben verwies der Professor am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften der Uni Köln auch auf eine wachsende „relative Armut“. Demnach ist arm, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Butterwegge warnte davor, die relative Armut nicht ernst zu nehmen. „Armut in einem reichen Land kann viel erniedrigender und demütigender sein als in einem armen Land.“ In Deutschland lebten mehr als 1,6 Millionen von 10,6 Millionen Kindern unter 15 Jahren in einem Hartz-IV-Haushalt. „Das ist eine riesige Zahl von Betroffenen.“ Das Thema Armut müsse deshalb endlich politisch angepackt werden. „Es ist lange beschönigt, verharmlost und in Talkshows zerredet worden.“
Als Ursachen der Kinderarmut in Deutschland sieht Butterwegge neben der Auflösung „normaler“ Familien- und Arbeitsverhältnisse vor allem auch den bereits seit Ende der 70er Jahre zu beobachtenden Um- und Abbau des Sozialstaates. „Es gibt immer weniger soziale Sicherheit für Familien.“ Der Spitzensteuersatz sei drastisch gesenkt worden, die Vermögenssteuer abgeschafft worden. „Mir ist sehr bewusst, dass die Armut vieler Kinder mit dem Reichtum anderer zu tun hat.“ In dem Zusammenhang kritisierte Butterwegge, dass „Familienunternehmer“ weitgehend von Erbschaftssteuer verschont blieben. „Woanders nennt man die Oligarchen.“ Stattdessen sei mit der Einführung von Hartz IV ein „breiter Niedriglohnsektor“ entstanden. „Das Lohndumping war gewollt.“
Prof. Dr. Butterwegge, Uni Kölncpd / Jonas
Zur Behebung der „Kluft zwischen Arm und Reich“ schlägt Butterwegge einen „sehr viel höheren“ gesetzlichen Mindestlohn vor, der auch den bisher davon ausgenommenen Langzeitarbeitslosen und jungen Menschen zugutekommt. Daneben seien eine gut ausgebaute Ganztagsbetreuung sowie eine Gemeinschaftsschule notwendig, die das „ständisch geprägte, feudale“ Schulsystem in Deutschland ablöse. Darüber hinaus sei eine Grundsicherung nötig, „die diesen Namen auch verdient“. „Wer wenig hat, soll viel bekommen, wer viel hat, nichts.“ Diese Grundsicherung müsse „armutsfest und repressionsfrei“ sein. Scharf kritisierte Butterwegge die Sanktionspolitik vor allem gegen jugendliche Hartz-IV-Empfänger. Während diese im Strafrecht milder behandelt würden, sei es bei Hartz IV umgekehrt. „Auf diese Weise produziert der Sozialstaat selbst Obdachlosigkeit.“