Was begünstigt Ablehnungshaltungen? Was kann das für die pädagogische und sozialarbeiterische Arbeit bedeuten?
Bestimmte Erfahrungen in die Lebensgestaltung prägenden Bereichen (wie z.B. Ökonomie, Kultur, Soziales und Politik) und deren Verarbeitung durch die betroffenen Menschen begünstigen die Entstehung und Verbreitung pauschalisierender Ablehnungskonstruktionen. Im Folgenden eine Auflistung der Begünstigungsfaktoren für pauschalisierende Ablehnungskonstruktionen übernommen aus einer Fachtagung des DiCV Paderborn vom 22.2.2020 orientiert am Konzept KISSeS
Kontrollverluste / Bedürfnis nach Kontrolle -
Menschen sehen sich in ihrer Lebensführung gemessen an ihren Erwartungen einem Mangel an Kontrolle ausgesetzt. Entweder als Kontrolldefizit im Hinblick auf die Gestaltung ihrer persönlichen Geschicke und oder eher hinsichtlich des Lebens jenes Kollektivs, dem sie sich zuordnen. Es gibt verlockende "Kontrollversprechen" der "Wir-Gruppe" aus sozialen Kontexten, in denen pauschalisierende Ablehnungshaltungen und rechtsextremes Gedankengut gepflegt werden. Herausforderungen für die Praxis: Wie lässt sich die gefühlte fehlende "Kontrolle" bei Adressaten unserer Arbeit verbessern? Wie können wir ihnen noch stärker das Gefühl vermitteln, ihre "Geschicke selbst im Griff zu haben" - generell, aber auch im Alltag? Wie/wo können Selbstwirksamkeit, Selbstwertaufbau, Selbstbestimmung und Planungskompetenzen wachsen?
Es gibt
Integrationsschwierigkeiten und - defizite
bei der Einbindung in familiäre und verwandtschaftliche Netze, Freundeskreise, Nachbarschaften, Schulzusammenhänge, Vereinsleben und in demokratisch und gewaltfrei strukturierte Kontexte, weil Menschen mangelnde Zugehörigkeit, Teilhabe, Partizipationschancen und Identifikationsmöglichkeiten erleben, oder weil die Integrationsmodi, die sie für sich offen stehen sehen, Integration auf undemokratische und (potenziell) gewaltförmige Weise offerieren (etwa als Nationalismus, Maskulinismus, Islamismus u.ä.m.) Die Betroffenen sehen sich als relativ isoliert, auf sich gestellt und schließen sich mit Personen zusammen, denen es ähnlich geht, mit leistungsunabhängigen Einbindungskriterien wie etwa Herkunft, nationale oder ethnische Zugehörigkeit, kulturelle Zuschreibungen, religionisierende Sichtweisen und biologistische Faktoren wie ""Blut", Hautfarbe, und "Rasse" Bezug nehmen. Herausforderungen für die Praxis: Wie lässt sich erreichen, dass die Adressaten unserer Arbeit sich stärker als bisher integriert fühlen und teilhaben können? Wie können wir als Pädagogen und Sozialarbeiter unserer Vorbildfunktion im Hinblick auf einen respektvollen zwischenmenschlichen Umgang gerecht werden?
Sinnlichkeitsdefizite -
Ihnen sind nur bestimmte, schmale Korridore von Sinnlichkeiterleben zugänglich, das sich auf die Vermittlung von Überlegenheitsgefühlen und gewalthaltige "action" konzentriert. Genußvolle Befriedigung psycho-psychischer Bedürfnisse bleiben entweder im Alltag aus oder werden als unzumutbar beschränkt erlebt oder in einer Weise verfolgt, die andere Menschen negativ beeinflusst und schädigt. Das fördert eine Anfälligkeit für pauschalisierende Ablehnungskonstruktionen. Herausforderungen für die Praxis: Wie können wir das sinnliche Erleben der Adressaten für sie befriedigender gestalten und sie Erfahrungen machen lassen, die ihnen bislang nicht zugänglich sind, die weder individuell noch sozial schädlich sind?
Sinnstiftung - und Sinnerfahrung
werden nicht hinreichend in individuell befriedigender Weise außerhalb von Ablehnungskontexten erlebt, etwa im schulischen und beruflichen Bereich, in Bereichen der privaten Lebensplanung oder auch in religiösen und weltanschaulichen Bezügen. Das Bestreben, innerhalb der vorhandenen Ordnung sowie in dem, was man selbst denkt und tut, einen Sinn auszumachen, wird innerhalb akzeptierter und propagierter gesellschaftlicher Leistungsbereiche als nicht umsetzbar erlebt. Pauschalisierende Ablehnungskonstruktionen versprechen Sinnstiftung durch Sinnzuweisungen an "nationale Interessen" oder "Verteidigung der abendländischen Kultur" mit einer Bedeutung, die Alltagsversagen(sängste) übertüncht. Herausforderungen für die Praxis: Wie können wir unseren Adressaten mehr als bisher im Rahmen der Arbeit Erfahrungen von Lebenssinn vermitteln? Wie können wir Angebote entwickeln, die mindestens gleich attraktiv erscheinen als die Angebote von Pakos?
Letztlich auschlaggebend für pauschalisierende Ablehnungskonstruktionen sind
erfahrungsstrukturierende Repräsentationen / mentale Vorstellungsbilder
der Realität im biografisch aufgebauten Speicher (z.B. Eigenes/Fremdes, "Deutschsein", sog. "Farbige", "Wir Deutschen", "fleißiger Arbeiter", "Bonzentum", Heterosexualität als soziale Norm, ökonomische und soziale Marginalisierung). Sie geben vermeintliche Orientierungshilfen, Aktionsangebote und Verhaltensanleitungen. Sie stellen plausible und vorteilhafte Interpretationen und Aktivierungsvorschläge mit simplen Begründungen und (Schein-) Lösungen für das eigene oder solidarisch wahrgenommene Mangelerleben bereit. Herausforderungen für die Praxis: Was fällt uns zu der Überlegung ein, erfahrungsstrukturierende Repräsentationen /mentale Vorstellungsbilder der Realität, die wir für problematisch halten, durch andere Vorstellungsbilder ersetzbar zu machen?
Die Qualität der
Selbst- und Sozialkompetenz
wird nicht so weit entwickelt, dass sie in ausreichendem Maße Resistenzen (z.B.: Einfühlungsvermögen, Affektkontrolle, Rollendistanz, Ambivalenz- und Frustrationstoleranz sowie verbale Konfliktfähigkeit )gegenüber Ablehnungskonstruktionen aufbauen könnte. Innerhalb der sozialen Bezüge und frequentierten Milieus können nützliche und dort anerkannte Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Geltung gebracht werden. Herausforderungen für die Praxis: Wie können wir die Selbst- und Sozialkompetenzen (z.B. Reflexität, Empathie, Impulskontrolle u.ä.) der Adressaten unserer Arbeit stärken - im pädagogischen und sonstigen Alltag?