Schwerte/Paderborn , 20.02.08 (cpd) – Der Paderborner Moraltheologe Prof. Dr. Franz-Josef Bormann hat eine ökonomisch motivierte Ausweitung der vorgeburtlichen Diagnostik kritisiert. Niedergelassene Frauenärzte hätten ein „direktes finanzielles Interesse daran, die rückläufige Zahl der Schwangerschaften mit einem immer engmaschigeren Netz diagnostischer Maßnahmen zu überziehen, um die mit dem demographischen Wandel einhergehenden Einkommenseinbußen zu kompensieren“, sagte Bormann beim 4. Paderborner Caritas-Diskurs am Mittwoch, 20. Februar in der Katholischen Akademie Schwerte. Die Veranstaltung des Diözesan-Caritasverbandes befasste sich mit ethischen Problemstellungen am Lebensanfang. Bormann kritisierte, dass nicht selten Schwangere von ihren Gynäkologen unter Druck gesetzt würden, um bestimmte diagnostische Verfahren „zum Wohl des Kindes“ durchführen zu lassen, obwohl die Frauen selbst eigentlich keine Neigung dazu verspürten. Dadurch verwandle sich die Schwangerschaft immer mehr von einer Zeit „guter Hoffnung“ zu einer Lebensspanne „ständiger Unruhe“.
Dennoch möchte der Theologe die Pränataldiagnostik nicht pauschal dämonisieren. So hätten derartige diagnostische Maßnahmen dazu beigetragen, z. B. die Sterblichkeit von Mutter und Kind während der Geburt erheblich zu reduzieren. „Allerdings wäre es naiv, die Augen davon zu verschließen, dass mit der Entwicklung immer neuer Diagnoseverfahren auch bestimmte Gefährdungen verbunden sind, die in eine ethische Bewertung einzubeziehen sind.“
Über welche Möglichkeiten die Pränatalmedizin heute verfügt, referierte der Düsseldorfer Mediziner Dr. med. Peter Kozlowski. Der Trend, die immer aufwändigeren Verfahren als selbst zu finanzierende Zusatzleistungen neben den drei routinemäßig bei jeder Schwangerschaft vorgesehenen Untersuchungen auch in Anspruch zu nehmen, lässt sich anhand der Statistik belegen: Bei den 673.000 Geburten in Deutschland im Jahr 2006 wurde bei rund jeder fünften zuvor eine so genannte invasive Diagnostik durchgeführt, zu der u. a. eine die Fruchtwasseruntersuchung zählt. Kozlowski wehrte sich gegen die Kritik, dass Pränataldiagnostik ausschließlich die Suche nach möglichen Behinderungen betreibe. So könnten z. B. Herzfehler oder andere organische Beeinträchtigungen bereits im Mutterleib diagnostiziert und z. T. behandelt werden. Doch räumte Kozlowski ein, dass selbst einfache Ultraschalluntersuchungen „Folgen“ haben können. „Jegliche Diagnostik kann Auffälligkeiten ergeben.“ Eltern müssten daher vorher aufgeklärt werden, bevor man anfängt zu untersuchen.
Wie eine psychosoziale Begleitung von Schwangeren aussehen kann, die erfahren, dass sie ein behindertes Kind erwarten, schilderte Prof. Dr. Hans-Peter Diemer vom Marienhospital Düsseldorf. Es reiche nicht, Faltblätter mit hilfreichen Adressen in der Klinik auszulegen. Notwendig sei ein Netzwerk, das wie im Marienhospital auch die Krisenintervention durch die Schwangerschaftsberatung umfasst. „Innerhalb von 20 Minuten kann eine Beraterin in der Klinik sein.“ Insgesamt kritisierten alle Tagungsbeiträge eine unkritische Einstellung zur Pränataldiagnostik. Der nachvollziehbare Wunsch, Krankheit und Behinderung vermeiden zu wollen, stehe im Kontrast zur Endlichkeit und Geschöpflichkeit des Menschen. Der Trend, immer neue Lebensrisiken schon vorgeburtlich zu identifizieren und auszumerzen, treibt bisweilen bizarre Blüten. „Irgendwann wird die Pränataldiagnostik herausfinden, dass der Mensch sterblich ist“, zitierte Professor Diemer einen Kollegen.
Doch inwieweit sind heute Schwangere bereit, auch „Risiken“ wie ein möglicherweise behindertes Kind anzunehmen? Prof. Dr. Friederich Degenhardt, Leiter der Geburtshilfe im Franziskus-Hospital Bielefeld berichtete, dass rund die Hälfte aller Frauen auf die zweite Ultraschalluntersuchung in der 20. Schwangerschaftswoche verzichtet, nachdem sie vorher über die Konsequenzen aufgeklärt werden, die das Untersuchungsergebnis möglicherweise für ihre weitere Schwangerschaft haben kann. Dennoch: Der Trend zum „perfekten Kind“ scheint unaufhaltsam. Ein teilnehmender Arzt des Ethik-Diskurses formulierte es so: „Beim Designer-Baby ist die Gesellschaft weiter als wir glauben.“
In der Diskussion spielte auch die von Professor Bormann als rechtspolitische Fehlentwicklung bezeichnete Problematik der „medizinischen Indikation“ eine Rolle. Hier sei eine „Mogelpackung“ entstanden, in der zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte zusammengebunden werden: die „vitale Indikation“, d. h. die im engeren Sinne medizinische Indikation, mit der alten, fallengelassenen eugenisch-embryopathischen Indikation, die die Abtreibung eines behinderten Kindes ermöglicht. Bormann: „Die längst gängige Praxis, die erweiterte medizinische Indikation als Blankoscheck zur Embryonenselektion zu missbrauchen, läuft jedoch über die implizite Infragestellung des Existenzrechtes Behinderter nicht nur auf eine eindeutige Diskriminierung der jetzt lebenden Menschen mit Behinderungen hinaus. Sie nährt auch die zweifelhafte Illusion einer leidfreien Welt, in der es künftig keine Behinderungen mehr gibt.“ Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch in katholischen Kliniken könne es nicht geben, wenn mit Bezug auf die medizinische Indikation faktisch eine eugenisch-embryopathische Indikation vorliege.
In seinem Schlusswort bekräftige Weihbischof Manfred Grothe die aus dem Plenum angeregte Forderung nach Stärkung der ethischen Kompetenz von Ärzten. Dabei verwies er auch auf die Bedeutung des diözesanen Ethikrates und die Anstrengungen der Einrichtungen zur Bildung ethisch beratender Gremien. Er plädierte für eine bessere Vernetzung von Medizin, Pflege und Beratung. Dazu gehöre auch die Einbeziehung des ehrenamtlichen Engagements in den Kirchengemeinden, z. B. bei der solidarischen Unterstützung in der Frage, wohin Kinder vermittelt werden können, wenn sie nicht gewollt sind.
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Ethische Problemstellungen am Lebensanfang standen im Mittelpunkt des Paderborner Caritas-Diskurses in der Katholischen Akademie Schwerte. Zu den Referenten zählte auch der Düsseldorfer Mediziner Dr. Peter Kozlowski, der eine ärztliche Gesellschaft für Pränatalmedizin und Genetik im Rheinland leitet. (Foto: cpd/Sauer)