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Die Herausforderungen durch den starken Zuzug von Flüchtlingen diskutierten bei einer Caritas-Tagung (von links) Paul Krane-Naumann, Heribert Krane, Domkapitular Dr. Thomas Witt, Maria Krane, Pastor Meinolf Wacker, Marie-Luise Hümpfner, Marie-Luise Tigges und Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig. (Foto: cpd / Jonas) |
Die
„Flüchtlingskrise“ ist keine Krise der Flüchtlinge, sondern eine „Krise der
Flüchtlingspolitik in der EU“, hat Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig
festgestellt. Vor mehr als 100 Teilnehmern einer Tagung des
Diözesan-Caritasverbandes Paderborn zur Flüchtlingsfrage in Schwerte würdigte
er das bürgerschaftliche Engagement und die „gelebte Realität des Willkommens“.
Für Deutschland sei die Krise auch eine „Chance, ein freundliches Gesicht zu
zeigen und nicht nur kalt zu verwalten“. Lüttig erinnerte daran, dass auch
Millionen Deutsche im 19. Jahrhundert ihre Heimat verlassen und vorwiegend in
den freiheitlichen USA Aufnahme gefunden hätten. Im 20. Jahrhundert seien Hundertausende
vor dem Terror der Nazis aus Deutschland geflohen. „Dass nun so viele zu uns
kommen, kann man auch als Kompliment an unser Land verstehen. Vielleicht können
wir auch ein wenig stolz sein, dass Menschen bei uns und mit uns leben wollen“,
sagte Lüttig.
Vor einer drastischen Beschleunigung von Asylverfahren auf nur eine Woche wie
im Asylpaket II geplant, warnte Heribert Krane, Flüchtlingsreferent des
Diözesan-Caritasverbandes. „Wir befürchten, dass dann keine fairen
Asylverfahren mehr möglich sind.“ Das Recht auf Asyl sei schließlich ein
individuelles Grundrecht und müsse auch individuell geprüft werden. Auch die
diskutierte Beschränkung des Familiennachzugs „macht uns Sorgen“. Eine damit
möglicherweise auf Jahre betonierte Familientrennung sei nicht förderlich für
die Integration von Männern, die den gefährlichen Weg allein auf sich genommen
haben, um dann ihre Familie nachholen zu können, sagte Krane. Forderungen nach der
Festlegung einer Obergrenze des Zuzugs wies er zurück. Diese wäre ein Verstoß
gegen das Grundgesetz. Es gehe darum im europäischen Rahmen die Kontrolle über
die Zuwanderung zurück zu bekommen, die Zuwanderung zu verlangsamen und durch
Ursachenbekämpfung langfristig zu reduzieren, Ein Ende der aktuellen
Ausnahmesituation sieht Heribert Krane nicht. „Wir erleben etwas, was in
anderen Regionen der Welt seit langem normal ist.“
Marie-Luise Hümpfner vom NRW-Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales
rief dazu auf, angesichts der vielen Flüchtlinge die EU-Zuwanderer etwa aus
Griechenland und Spanien nicht zu vergessen. Eine nachhaltige Integration für
länger in Deutschland Lebende dürfe bei aller Akuthilfe nicht aus dem Blick
verloren werden. Hümpfner forderte einen „Integrations-Triathlon“ mit den
Disziplinen Bildung, Arbeit und Wohnen. „Und den gewinnen wir nur auf langer
Strecke.“ Dazu sei es auch notwendig, die bisher getrennten Bereiche der Asyl-
und Integrationspolitik zusammenzuführen.
In welcher Form der Flüchtlingszustrom die verschiedenen sozialen Bereich
betrifft, machten Verantwortliche in kurzen Statements deutlich. So mahnte
Manuela Elias, Kita-Leiterin aus Brilon, die Landesmittel für die Kitas
reichten nicht aus. Gerade bei traumatisierten Kindern sei manchmal eine
Eins-zu-eins-Betreuung notwendig. Michael Gebauer von der Jugendhilfe des SkF
Hagen kritisierte, die Methoden der Altersfeststellung bei minderjährigen
Flüchtlingen seien „sehr unwürdig“. Zudem bestehe die Gefahr einer
„Zwei-Klassen-Jugendhilfe“.
Eine zunehmende Überforderung von Schulen und offenen Ganztagsschulen sieht
Christoph Gehrmann vom Caritasverband Dortmund. Eine weitere Aufnahme von
Flüchtlingen sei kaum mehr möglich. Die Beschäftigungsförderung sei zwar ein
ausgereiftes System, sagte Thomas Koslowski von der Caritas Hagen. „Aber bei
Flüchtlingen greift es nicht.“ Entsprechende Förderinstrumente müssten erst
noch entwickelt werden.
Von traumatisierten Schwangeren berichtete Elisabeth Hake vom SkF Paderborn.
Gerade in der sehr sensiblen Phase von Schwangerschaft und Geburt würden
Traumata der Flucht wiederaufbrechen, zumal wenn in Unterbringungseinrichtungen
kein eigener Rückzugsort gewährleistet sei. „Erstaufnahmeeinrichtungen sind ein
ganz schlechter Ort für den Beginn eines Lebens.“
Von einem großen Andrang bei Speise- und Kleiderkammern berichtete Anne
Bartholome von der Caritas-Konferenz St. Martin in Bigge. Zwar gingen genügend
Kleiderspenden ein, doch fehle es an Lebensmittelspenden. Eine wachsende Sorge
vor „Konkurrenz“ hat Joachim Veenhof vom SKM Paderborn unter Wohnungslosen
festgestellt. Er warnte Kommunen davor, freiwillige Leistungen in diesem
Bereich angesichts der Flüchtlingszahlen zurückzufahren. Die Wohnungslosenhilfe
müsse im Gegenteil ausgebaut werden. „Da werden noch einige Herausforderungen
auf uns zukommen.“
Pastor Meinolf Wacker vom Pastoralverbund Kamen-Kaiserau berichtete vom großen
Engagement für Flüchtlinge in seiner Stadt. Er rief dazu auf, ganz im Sinne
Jesu „im Fremden den Bruder zu sehen“.
Nachmittags gab es in Fachforen die Möglichkeit, sich vertieft durch Experten
zu informieren und auszutauschen über Themen wie die Bedingungen für das
Ehrenamt, den Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen, den Aufbau von
Strukturen zur Kooperation und Vernetzung, die Lebenslagen junger Flüchtlinge, den
Umgang mit Menschen aus unterschiedlichen Ethnien, Religionen und Kulturen
sowie die Herausforderungen für die existenzunterstützenden Dienste.