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Die Caritas-Fachtagung „Familie schaffen wir nur gemeinsam“ bot vor 140 Teilnehmern eine intensiv genutzte Plattform, um Praxiserfahrungen haupt- und ehrenamtlicher Familienhilfe mit Politikern zu diskutieren (v.l.): Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig, Beate Schonlau (Kath. Familienzentrum Paderborn Süd-Ost), Walter Kern MdL (CDU), Helga Füller (Kath. Familienzentrum Paderborn Süd-Ost), Dagmar Hanses MdL (Bündnis 90/Die Grünen), Dorothee Schulte (Caritas-Konferenz Warstein-Allagen), Angela Kloppenburg (SkF-Schwangerschaftsberatungsstelle Meschede), Andreas Thiemann (Kath. Sozialdienst Hamm), Regina Kopp-Herr MdL (SPD) und Moderatorin Brigitte Büscher. (Foto: cpd/Jonas) |
Als „Gedöns“
wurde bisweilen die Familienpolitik abgetan. Dass dieses Politikfeld alles
andere als ein Langweiler ist, bewies jetzt eine Fachtagung des
Diözesan-Caritasverbandes in Paderborn: Unter dem Motto „Familie schaffen wir
nur gemeinsam“ erlebten rund 140 Teilnehmer einen ungeschminkten Einblick in
die Möglichkeiten, aber auch Grenzen familienunterstützender Dienste und
Projekte, die sich ausdrücklich als „sozialraumorientiert“ verstehen, also die
Nähe der Menschen in ihrem Wohnumfeld suchen und nutzen. An der Diskussion
beteiligten sich gleich fünf Vertreter der Familienpolitik: Die
NRW-Landtagsabgeordneten Regina Kopp-Herr, Marlies Stotz, Dennis Maelzer (alle
SPD), Dagmar Hanses (Die Grünen) und Walter Kern (CDU). Moderiert wurde die
Veranstaltung von der WDR-Journalistin Brigitte Büscher.
Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig warf dabei zunächst die Frage auf, ob
eine gute Familienpolitik dann gegeben sei, wenn „alle untergebracht sind“.
Familienpolitik dürfe sich nicht erschöpfen auf Fragen wie die flächendeckende Versorgung
mit Kita-Plätzen. „Familien brauchen mehr.“ Vor allem die Unterstützung im
unmittelbaren Sozialraum, also in Wohnvierteln, Nachbarschaften oder auch
Kirchengemeinden. Doch wie sieht es damit aus? Haben Einrichtungen, die
eigentlich „sozialraumorientiert“ ausgerichtet sein sollten, überhaupt die
Chance, diese Nähe zu den Familien herzustellen? Die Antworten sind ernüchternd:
„Wir möchten mal eine halbe Stunde Zeit haben, um uns intensiv mit Eltern zu
unterhalten“, klagte Helga Füller vom katholischen Familienzentrum Paderborn
Süd-Ost. „Für intensive Elternarbeit gibt es einfach kein Zeitfenster.“
Angela Kloppenburg von der Schwangerschaftsberatungsstelle des SkF
Hochsauerland beschrieb, wie sich der „Sozialraum“ für sozial schwache, oft
alleinerziehende Mütter im ländlichen Bereich dramatisch verändert hat.
Behörden, Ärzte, Krankenhäuser und andere professionelle Unterstützungsangebote
gibt es nur noch an zentralen Orten, das Dorf bietet hier keine Hilfe mehr.
Auch ehrenamtliche Unterstützung stoße an Grenzen, insbesondere wenn bei
Familien vielschichtige psychosoziale Probleme hinzukämen. Angela Kloppenburg
fordert daher eine Stärkung von professionellen Diensten vor Ort: „Wir brauchen
ortsnahe Anlaufstellen für alle Familienfragen.“
Was kann das Ehrenamt für Familien leisten? Dorothee Schulte von der Caritas-Konferenz
Warstein-Allagen sieht den Vorteil in der Unabhängigkeit von der behördlichen
Fürsorge. „Wir kommen nicht vom Amt.“ Mit diesem Satz nehmen die Caritas-Ehrenamtlichen
den Familien die Angst, ein „Fall fürs Amt“ zu werden. Die Ehrenamtlichen
vermitteln Alltagskompetenzen, leisten unmittelbare Nothilfe, etwa für Alleinerziehende,
die nicht das Bus-Geld haben, um die nächste Lebensmittel-Tafel aufzusuchen.
Die Stärke der Ehrenamtlichen ist die Nähe zu den Menschen, mit denen sie im
gemeinsamen Sozialraum leben.
„Menschen brauchen keine Projekte. Menschen brauchen Menschen“, so formulieren
es Andreas Thiemann und Angela Kettner vom Katholischen Sozialdienst Hamm
(KSD). Durch die Arbeit in einem Stadtteilbüro ist es dem KSD gelungen,
Migranten als Multiplikatoren für Erziehungsfragen zu gewinnen und zu schulen. „Hunderte
Gespräche über Erziehung und Schule wäre ohne diese Multiplikatoren nicht
gelaufen“, so Andreas Thiemann. Doch auch dieses „Hineinwirken“ in den
Sozialraum ist gefährdet: die Finanzierung von Stadteilbüros wird immer nur
kurzfristig gesichert. Thiemann: „Was wir unbedingt brauchen, ist Kontinuität
in der Arbeit.“
Auch in der anschließenden Podiumsdiskussion wurde davor gewarnt, in der
Familienpolitik zu kurzfristig zu denken oder nach jeder politischen Wahl „eine
neue Sau durchs Dorf zu treiben“, wie es ein Teilnehmer formulierte. Diözesan-Caritasdirektor
Josef Lüttig warb für eine Kontinuität in der Familienpolitik, die auch für die
freie Wohlfahrtspflege verlässlich ist. „Wir können nicht alle paar Jahre das
Ruder herum reißen.“ Dagmar Hanses wertete es als Erfolg, dass zumindest der
mit 100 Millionen Euro ausgestattete Kinder- und Jugendförderplan nun auch
überjährige Förderungen zulasse. Walter Kern warb für eine „Vertrauenskultur“
bei der Finanzierung der Familienförderung, die auch langfristige Förderungen
von Diensten und Einrichtungen ermögliche. Leider werde der Landeshaushalt
immer nur von Jahr zu Jahr erstellt. Familienpolitik müsse gegenüber anderen
Politikfeldern sehr viel selbstbewusster auftreten.
Einig war sich die Runde, wenn es um die Stärkung funktionierender ortsnaher
Strukturen für Familien geht, die es auch für junge Leute attraktiv mache, im
ländlichen Bereich zu bleiben und nicht abzuwandern. Regina Kopp-Herr regte z.
B. mobile Anlaufstellen für Familien an. „Wir müssen Sozialraumorientierung
nutzen, um näher bei den Menschen zu sein“, so abschließend
Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig. „Wir begrüßen es sehr, dass auch die
Politik in diese Richtung denkt.“ Letztlich müsse aber Sozialraumorientierung
daran gemessen werden, ob sie den Menschen auch wirklich hilft.