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Die Referenten des 8. Paderborner caritas.diskurses Ethik (v. l.): Moderator Dr. Thomas Günther (Diözesan-Caritasverband), Alfred Fleckner (Jugendhaus Hardehausen), Prim. Dr. Albert Reiter (Landeskrankenhaus Amstetten), Dr. Kerstin Schlögl-Flierl (Universität Regensburg), Christian Brandtner (Koordinator Deutsche Stiftung Organtransplantation) und Dr. Michael Kros (Herz-Jesu-Krankenhaus Münster). (Foto: cpd) |
Ist die Organspende eine Pflicht für Christen? Dieser Frage
ging der 8. Paderborner caritas.diskurs Ethik in der Katholischen Akademie
Schwerte nach. Wie immer in dieser Veranstaltungsreihe des
Diözesan-Caritasverbandes Paderborn ging es darum, im Dialog von Ethik,
Wissenschaft und Praxis eine christliche reflektierte Position zu finden. Beim
Thema Organtransplantation half dazu als Auftakt der Bericht eines Betroffenen:
Die Leidenszeit von Alfred Fleckner, Mitarbeiter des Jugendhauses Hardehausen, dauerte
genau sieben Jahre und zwei Monate. So lange musste er alle zwei Tage zur
Dialyse-Behandlung, die jeweils fünf Stunden erforderte. „Meine Ess- und
Trinkgewohnheiten waren stark eingeschränkt, ebenso meine Sozialkontakte.“ Getragen
hat ihn in dieser Zeit sein christlicher Glaube. Dann endlich der ersehnte
Anruf: „Wir haben eine passende Niere für Sie!“ Diese Nachricht war für ihn eine
unbeschreibliche Erleichterung. Fleckner: „Nach der Operation war dann alles
ganz neu in meinem Leben. Jetzt gab es wieder genügend Zeit für Sozialkontakte.
Das Leiden für meine Familie war vorbei. Eine absolut neue Lebensqualität hatte
begonnen.“
In Deutschland warten derzeit 12.000 Patienten auf ein Spenderorgan. Im
Durchschnitt werden täglich elf Transplantationen durchgeführt. Gleichzeitig
kommen 14 neue schwerkranke Patienten auf die Warteliste neu hinzu. Das bedeutet,
dass es für drei erkrankte Personen pro Tag keine Rettung gibt! Diese Zahlen
nannte Christian Brandtner, Facharzt für Anästhesiologie in Essen und Koordinator
der Deutschen Stiftung Organtransplantation für Nordrhein-Westfalen. Brandtner
bezeichnet die Entscheidung der Angehörigen über eine Organentnahme als sehr
herausfordernd: „Der ungünstigste Zeitpunkt für die schwierigste Frage an die
unglücklichste Familie.“
Medizinethische Aspekte der Organtransplantation, insbesondere die Frage der
Hirntoddiagnostik beleuchtete
Dr. Michael Kros, Facharzt für Neurologie
am Herz-Jesu-Krankenhaus in Münster. In medizinischen Fachkreisen gäbe es keine
ernsthafte Diskussion über die Gültigkeit des Hirntodkriteriums, so Kros. Der
Ganzhirntod könne somit als sicheres Kriterium für den Tod eines Menschen
betrachtet werden. Für die Bewertung von Organspende sei auch die Frage nach
dem Sinn hilfreich. Für Angehörige könne eine Organspende bedeuten, dass der
Verstorbene noch jemand helfen konnte. Ein Teil des Toten würde in einem
anderen Menschen weiterleben.
In Österreich und anderen europäischen Ländern ist per Gesetz jeder Mensch ein
potentieller Organspender, es sei denn, er hat dem zuvor schriftlich
widersprochen. Diese „Widerspruchslösung“ stellte Dr. Albert Reiter vom
Landeskrankenhaus Amstetten in Niederösterreich vor. Reiter ist zugleich Transplantationsreferent
für dieses Bundesland. In Österreich ist es seit 1982 zulässig, Verstorbenen
einzelne Organe oder Organteile zu entnehmen, um durch deren Transplantation das
Leben eines anderen Menschen zu retten oder dessen Gesundheit
wiederherzustellen. Eine Entnahme ist unzulässig bei Vorliegen einer
entsprechenden ausschließenden Erklärung oder durch Eintrag in das
Widerspruchsregister. Letzteres liegt für 21.615 Personen, also für rund vier
Prozent der Bevölkerung vor. Den Vorteil der österreichischen
Widerspruchsregelung sieht Dr. Reiter darin, dass die Angehörigen selbst keine
letzte Entscheidung über eine Organentnahme treffen müssen. Diese Entscheidung
trifft der zuständige Arzt, der in jedem Fall die Wünsche der Angehörigen
berücksichtigt. Im Unterschied dazu müssten bei einer erweiterten
Zustimmungslösung die Angehörigen eine Entscheidung treffen, die in vielen
Fällen deren Fähigkeiten übersteigt.
Aus moraltheologischer Sicht ist Organspende ein Ausdruck der Solidarität und Nächstenliebe,
so Dr. Kerstin Schlögl-Flierl, Assistentin am Lehrstuhl für Moraltheologie der
Universität Regensburg. Diese Sicht ist in der Geschichte der Kirche noch
relativ neu. Bis in die 1950er Jahre wurde Organspende wegen des
Verstümmelungsverbotes vom kirchlichen Lehramt abgelehnt. Heute „verdient die
in ethisch annehmbaren Formen durchgeführte Organspende besondere
Wertschätzung, um Kranken, die bisweilen jeder Hoffnung beraubt sind, die
Möglichkeit der Gesundheit oder sogar des Lebens anzubieten“, so Papst Johannes
Paul II. in der Enzyklika Evangelium vitae von 1995. Als sittliche Kriterien
für Organspende benennt Dr. Schlögl-Flierl die therapeutische Sinnhaftigkeit,
die Freiwilligkeit der Organspende, die Minimierung finanzieller Interessen und
schließlich die sichere Todesfeststellung.
Für die Feststellung des Todes sei das Hirntodkriterium anwendbar: „Die
Feststellung des Hirntodes ist ein sicheres Anzeichen dafür, dass der Zerfall des
ganzmenschlichen Lebens nicht mehr umkehrbar ist. Es ist von diesem Zeitpunkt
an vertretbar, Organe für eine Organverpflanzung zu entnehmen“, erklärt der Katholische
Erwachsenenkatechismus. Ist damit jeder Christ verpflichtet, nach seinem Tod Organe
zu spenden? Dr. Schlögl-Flierl: „Es gibt zwar keine Rechtspflicht zur
Organspende, wohl aber eine sittliche Pflicht, sich intensiv mit der Frage der
eigenen Spendebereitschaft auseinanderzusetzen.“ Eine Organspende sei letztlich
als Liebesgabe zu betrachten. Wer jedoch einer Organspende nicht zustimme, könne
ebenso sittlich verantwortlich handeln: „Diejenigen, die die Einwilligung aus
guten Gründen verweigern, handeln auch in christlicher Verantwortung.“
Weihbischof Manfred Grothe, Vorsitzender des Diözesan-Caritasverbandes, empfahl
in seinem Schlusswort, sich möglichst früh im Leben mit dem Thema Organspende
auseinanderzusetzen. Auf Organtransplantationen gebe es keinen Anspruch, diese
seien vielmehr stets ein Geschenk. Weihbischof Grothe: „Die Debatte um Organspende
in Deutschland muss von den Kirchen und der Caritas sorgfältig begleitet
werden. Es steht dabei immer die Freiheit des Organspenders im Vordergrund.“