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Alternativen zu Fixierungen bei Demenzkranken präsentierten vor rund 120 Mitarbeitern von Altenheimen, Hospizen und Sozialstationen (von rechts) Prof. Dr. Hanns Rüdiger Röttgers (Fachhochschule Münster), Ulrike Hackenholt, Christoph Menz (beide Diözesan-Caritasverband), Burkhard Keseberg und Martina Sommerfeld (beide Wohn- und Pflegeheim St. Bonifatius, Unna). (Foto: cpd / Jonas) |
Es ist meist
die Sorge vor Verletzung oder der Gefährdung anderer, die Angehörige und
Pflegende dazu veranlasst, beim Amtsgericht eine Fixierung für Demenzkranke zu
beantragen. Etwa ein Bettgitter, damit der Betroffene sich bei einem Sturz aus
dem Bett nicht verletzt. Doch es gibt Alternativen. Das wurde bei einem Fachtag
des Diözesan-Caritasverbandes Paderborn deutlich. „Ohne Fixierung – aber sicher!!!?“
lautete das Motto, zu dem 120 Mitarbeiter von Altenheimen, Hospizen und
Sozialstationen im Erzbistum ins Haus Maria Immaculata in Paderborn kamen. Das
Thema „Fixierung“ spiele nach wie vor eine Rolle, erreiche aber nicht das
Ausmaß, das manchmal von einer skandalisierenden Berichterstattung suggeriert
werde, sagte Christoph Menz vom Diözesan-Caritasverband. Zunehmend spielten allerdings
auch haftungsrechtliche Fragen eine Rolle. Doch ein gutgemeinter Schutz vor
Verletzungen könne auch kontraproduktiv sein. „Freiheit ist ein hohes Gut.
Seine Einschränkung bedarf sorgfältiger Abwägung“, sagte Menz.
Auf Alternativen zu Fixierungen verwies Prof. Dr. Hanns Rüdiger Röttgers von
der Fachhochschule Münster. So könnten technische und praktische Maßnahmen wie
eine stolperfallenfreie Architektur, tiefverstellbare Betten oder
Hüftprotektoren das Verletzungsrisiko mindern. Scharf kritisierte Röttgers
strukturelle Probleme, die freiheitsbeschränkende Maßnahmen bei Demenzkranken
förderten, statt sie zu beschränken. So seien moderne, teils
nebenwirkungsärmere Medikamente wegen der Hilfsmittelbudgetierung der
Kassenärzte ein finanzielles Risiko für den Arzt. Verschreibt der Arzt
insgesamt zu teure Medikamente, werde er im Nachhinein in Regress genommen.
Ähnliches gelte für die Verschreibung von Ergo- und Physiotherapien. „Ein
völlig absurdes System“, kritisiert Röttgers. Hinzu komme die oft unkoordinierte
Medikation verschiedener Ärzte oder der Einsatz von Medikamenten, die
bewegungsstörend und depressionsfördernd seien und häufig einen Teufelskreis
auslösten. Der unter Umständen so ausgelöste Bewegungsmangel führe zu einer
Verschlechterung von Wahrnehmung und Kompetenzen, was Unruhe und Verwirrtheit
auslöse. Das führe oft zur Heimeinweisung, zur Gabe von weiteren Medikamenten
und Fixierung. „Es ist relativ wenig Sachverstand in diesem System“, sagte
Röttgers. Die Rahmenbedingungen, aber auch überfürsorgliche Angehörige, seien
„ein Knüppel zwischen den Beinen“ von Mitarbeitern in Altenheimen und
Sozialstationen. Zur Verbesserung der Situation müsse die Qualität der
Arzneimittelverordnung in den Blick genommen werden, zudem die verhaltenstherapeutische
geriatrische Kompetenz gestärkt und die Personaldecke verstärkt werden. Denn
die genaue Beobachtung und das Verständnis für die Fähigkeiten und
Einschränkungen des Einzelnen seien eine entscheidende Voraussetzung dafür, die
Zahl der Fixierungen zu senken.
Die strengen rechtlichen Anforderungen an freiheitsentziehende Maßnahmen wie
Bettgitter oder Gurte erläuterte Heinz Peter Holtkötter, Richter am Amtsgericht
Gütersloh, anhand von Praxisbeispielen. Ohne gerichtliche Genehmigung dürften
diese nicht eingesetzt werden, betonte er. Doch bei allen rechtlichen Regeln
liege es letztlich in der Verantwortung der Pflegenden, ob sie eine Fixierung
beantragten, sagte Holtkötter und erntete dafür den Protest der Teilnehmer.
„Sie haben die Kompetenz und kennen den Bewohner am besten“, hielt er dagegen. Nicht
genehmigungsfähig seien hingegen Fixierungen von Patienten oder Bewohnern, die
selbst noch die Tragweite ihrer Entscheidungen erkennen könnten.
Von ihren mehr als zehnjährigen Erfahrungen mit dem Verzicht auf jegliche angeordneten
Fixierungen berichteten Mitarbeiter und Leiter des Wohn- und Pflegeheims St.
Bonifatius in Unna. Der Gefahr von Stürzen, dem Hauptgrund für Fixierungen,
begegne das Haus mit einem Trainingskonzept für die Bewohner, berichtete
Einrichtungsleiter Burkhard Keseberg. Denn: „Jede Form der Fixierung stellt die
Würde des Menschen in Frage“, ist er überzeugt. Für die Sturzprophylaxe
zuständig ist Physiotherapeutin Martina Sommerfeld. Sie prüft das Sturzrisiko
jedes Bewohners, schaut, welche Fähigkeiten und welche Schwächen vorhanden
sind. Auch die Umgebung im Zimmer wird geprüft, auf Stolperkanten am geliebten
Perserteppich zum Beispiel. Der darf dann zwar liegenbleiben. Die Überwindung
der Kante muss dann aber im Wortsinn Schritt für Schritt geübt werden.
Gleichgewichtsübungen, Muskeltraining oder Übungen mit Rollatoren stärken die
Mobilität der Bewohner und senken die Sturzgefahr. Ein weiterer willkommener
Nebeneffekt des Trainings: Die Ärzte erleben, dass sie den Einsatz von Psychopharmaka
stetig senken können.