Darf die künstliche Beatmung eines Patienten abgebrochen werden, weil ein anderer Patient, der kurzfristig eine bessere Überlebenschance hat, die Beatmungsmaschine benötigt? "Nein", sagt Marie-Luise Schulze-Jansen vom Referat für Behindertenhilfe beim Caritasverband für das Erzbistum Paderborn. "Wenn Behandlungsabbrüche zugelassen werden, befürchten wir eine Diskriminierung vor allem von Menschen mit Behinderung." Dass diese sogenannte Ex-Post-Triage erlaubt sein soll, fordern Ärzteverbände. Die Caritas und andere Fachverbände für Menschen mit Behinderung lehnen sie dagegen strikt ab. "Es ist damit zu rechnen, dass dann gerade Menschen mit Behinderung und Vorerkrankungen bei der lebensrettenden Behandlung benachteiligt würden", sagt Schulze-Jansen.
Am Donnerstag berät der Bundestag über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG-E). Damit soll der sogenannten Triage-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember Rechnung getragen werden. Dieses hatte den Gesetzgeber dazu verpflichtet sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderung im Fall einer pandemiebedingt nötigen Triage nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt werden. "Natürlich versuchen alle Beteiligten in der Medizin eine solche dramatische Mangelsituation zu verhindern", erklärt Johannes Kudera, Geschäftsführer des Diözesanen Ethikrates im Caritasverband für das Erzbistum Paderborn. "Dennoch soll das Gesetz für eine solche Extremsituation Rechtssicherheit bieten. Und da befürchten wir aufgrund der auf dem Tisch liegenden Vorschläge gravierende Nachteile gerade für die Schwächsten in der Gesellschaft", kritisiert Kudera. "Es ist diskriminierend, wenn bei knappen Behandlungsmöglichkeiten nur dem vermeintlich Stärkeren eine Überlebenschance gegeben wird."
Die Caritas appelliert deswegen gemeinsam mit anderen Wohlfahrts- und Sozialverbänden an die Bundestagsabgeordneten, am Verbot der Ex-Post-Triage aus ethischen und juristischen Gründen festzuhalten. Denn: "Kein Leben ist mehr wert als ein anderes", sagt Johannes Kudera.
Der Caritasverband für das Erzbistum Paderborn (kurz: Diözesan-Caritasverband) bildet das Dach, unter dem über 200 katholische Träger der Alten- und Gesundheitshilfe, der Jugend- und Behindertenhilfe und weiterer Dienste mit rund 70.000 Beschäftigten zu Hause sind. Das Verbandsgebiet deckt Ost- und Südwestfalen sowie das östliche Ruhrgebiet ab, also etwa ein Drittel des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Hinzu kommen kleine Bereiche in Nordhessen und Niedersachsen (zur Karte des Verbandsbereiches (als pdf)). Dem Diözesan-Caritasverband sind 23 Orts- und Kreis-Caritasverbände als Gliederungen angeschlossen. Der Diözesan-Caritasverband Paderborn ist einer von fünf Spitzenverbänden der Caritas innerhalb der Freien Wohlfahrtspflege Nordrhein-Westfalens.