Jahrelang prägte er die weltweiten Schlagzeilen: der Krieg in Syrien. Doch zuletzt hörte man fast nichts mehr von dem Krieg, der 2011 begann und nach Schätzungen einer halben Million Menschen das Leben kostete. Präsident Baschar al-Assad hat inzwischen zwar den Großteil Syriens unter seine Kontrolle gebracht, doch gebessert hat sich die Situation für die Bevölkerung noch nicht. Im Gegenteil: "So schlimm war die Situation noch nie", sagte Schwester Annie Demerjian RJM aus Damaskus bei einem Besuch des Diözesan-Caritasverbandes Paderborn, der ihre Hilfsaktionen seit 2016 unterstützt. "Wir dachten, das Leben würde irgendwann wieder besser werden, aber die Menschen sind inzwischen so verzweifelt, dass viele es vorziehen zu sterben."
Schwester Annie, ihre Mitschwestern von der Ordensgemeinschaft der "Sisters of Jesus and Mary" und freiwillige Helfer in Damaskus, Aleppo und weiteren Orten in Syrien tun ihr Möglichstes, Familien in ihrer verzweifelten Situation zu helfen. "90 Prozent der Menschen leben unter der Armutsgrenze", erklärt Schwester Annie. Die Sanktionen des Westens gegen das Land würden auch der Bevölkerung schwer zu schaffen machen. Wenn es in Familien überhaupt ein Einkommen gäbe, betrage dies durchschnittlich 30 Euro im Monat, zum Leben benötige man aber etwa 300 Euro monatlich. Etwa 5600 Familien in Aleppo, Damaskus, Hasakeh, Homs, Kamishli und weiteren Städten und Dörfern erhalten von den Schwestern aus Spenden alle vier oder acht Wochen Geldzahlungen, um überleben zu können, 100 Familien in Aleppo zahlen die Schwestern auch die Miete.
"Vor allem die Kinder leiden in dieser hoffnungslosen Situation", sagt die Provinzoberin aus England, Schwester Helen Heigh, die Schwester Annie bei ihrem Besuch in Paderborn begleitete. Anfang 2020 hat der Orden deshalb in Damaskus ein Musik- und Kunst-Zentrum für Kinder ins Leben gerufen, um dort einen Beitrag zur Trauma-Bewältigung von kriegsgeschädigten Kindern und ihren Eltern leisten zu können. Rund 200 Kinder lernen in dem Zentrum ein Instrument. "Das macht ihnen viel Freude, die Kinder brauchen das", sagt Schwester Helen. Um dem Musik-Zentrum eine sichere Grundlage zu geben und es unabhängig von den wiederholten, oft willkürlichen Mieterhöhungen zu machen, hat der Orden nun eine Etage mit vier Appartements in einem sechsstöckigen Neubau in Damaskus kaufen können - auch dank der Unterstützung des Diözesan-Caritasverbandes Paderborn, der das Musikzentrum mit rund 75.000 Euro fördert. Im September sollen die neuen Räumlichkeiten bezogen werden. Neben Musikräumen soll dort auch eine Arbeitsgelegenheit für Frauen eingerichtet werden - eine kleine Manufaktur, in der Kleidungsstücke für den Verkauf genäht werden können. "Die Menschen brauchen Arbeitsgelegenheiten, um sich den Lebensunterhalt verdienen zu können", erklärt Schwester Helen. Mit ähnlichen Manufakturen, zwei nahe Damaskus, eine in Aleppo, habe der Orden bereits gute Erfahrungen gemacht. Zudem solle in dem Gebäude ein pastorales Zentrum einen Platz finden, in dem Eltern Gelegenheit zum Gespräch über traumatische Erlebnisse oder andere Nöte gegeben wird. "Es kommen immer Leute zum Gespräch", erzählt Schwester Annie. "Es gibt viele Nöte, viele sind verzweifelt und wollen einfach mit uns reden."
Info
Der Caritasverband für das Erzbistum Paderborn unterstützt die Hilfsaktionen von Schwester Annie Demerjian und ihrem Orden "Congregation of the Religious of Jesus and Mary" (RJM) in Syrien sowie im Libanon seit 2016. Den Kontakt stellte Domkapitular Dr. Thomas Witt her, Vorsitzender des Diözesan-Caritasrates und ehemaliger Flüchtlingsbeauftragter des Erzbistums Paderborn. Seit 2016 hat der Diözesan-Caritasverband Paderborn die Hilfen von Schwester Annie in Syrien mit insgesamt rund 500.000 Euro gefördert.