Die aktuellen Konflikte rund um Flucht und Einwanderung werden meist als Zeichen dafür gesehen, dass Integration gescheitert ist. Das Gegenteil ist der Fall, sagt der Soziologe und Bestseller-Autor Aladin Al-Mafaalani. Bei einem Fachtag des Caritasverbandes für das Erzbistum Paderborn erläuterte er jetzt seine These vom Integrationsparadox. "Gelungene Integration geht nicht ohne Konflikte". Gerade weil Deutschland auf gutem Wege sei, die Teilhabe möglichst vieler Bevölkerungsteile am gesellschaftlichen Diskurs zu ermöglichen, werde zurzeit besonders heftig gestritten. Konflikte seien ein Zeichen gelingender Integration.
„Je stärker unsere Gesellschaften zusammenwachsen, desto heftiger werden die Debatten“: Fachtagung des Diözesan-Caritasverbandes Paderborn mit dem Soziologen und Bestseller-Autor Aladin Al-Mafaalani (Mitte) (Foto: cpd/privat)
"Je stärker unsere Gesellschaften zusammenwachsen, desto heftiger werden die Debatten", so El-Mafaalani, der bis Juli 2019 Abteilungsleiter im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in Düsseldorf war und damit die Integrationspolitik in Nordrhein-Westfalen koordinierte. Seine These: "Integration ist in Deutschland heute so gut wie noch nie". Unser Land erlebe die beste Zeit seiner Geschichte und zähle zu den beliebtesten Einwanderungsländern der Welt.
Während ein Teil der alteingesessenen Bevölkerung von Einwanderern Anpassung erwarte und demnach Integration gesellschaftliche Harmonie bedeute, erwarteten gerade gut integrierte Einwanderer, in ihrer sprachlichen und religiösen Identität anerkannt zu werden. Dies führe zu Konflikten. "Diese nehmen zu, je mehr die Integration von Einwanderern voranschreitet, da Priviliegien geteilt oder aufgegeben werden müssen." So wachse mit der zunehmenden Teilhabe von Migranten auch deren Bewusstsein für - und ihre Empfindlichkeit gegenüber - Diskriminierungen, weil sie sich als gleichberechtigt verstehen.
Mit der Integration würden die Erwartungen und Ansprüche wachsen. Aber auch der Rassismus der Mehrheitsgesellschaft verschwinde nicht, nur weil die Integration von Einwanderern besser gelingt - im Gegenteil, er könne sogar zunehmen. Das gesellschaftliche Zusammenwachsen in einer ethnisch, religiös und kulturell vielfältigen Gesellschaft erzeuge Kontroversen und populistische Abwehrreaktionen. So paradox es klingen mag: "Rassismus verstärkt sich wegen gelungener Integration." Für El-Mafaalani sollten sich Kirchen mit langem Atem um diejenigen kümmern, die "auf dem falschen Weg sind aus Angst vor einem sozialen Abstieg und Statusverlust". Hier sieht er großes Potenzial zum Ausgleich zwischen Positionen im öffentlichen Diskurs.
Die Tagung für Fachkräfte aus Jugend- und Familienhilfe sowie Migrationsdiensten der Caritas bot auch Gelegenheit, Fragestellungen aus der täglichen Praxis zu diskutieren: Wie können Teams von Fachkräften mit unterschiedlichen nationalen, ethnischen, kulturellen und religiösen Hintergründen gut zusammenarbeiten? Wie gelingt der Aufbau einer sicheren Zukunftsperspektive für unbegleitete minderjährige und junge volljährige Geflüchtete im Spannungsfeld zwischen der Kinder- und Jugendhilfe sowie asyl- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen? Und wie kann die Erziehungskompetenz der Eltern gestärkt werden, weil Familien eine Schlüsselrolle für eine gelingende Integration zukommt? Viele Eltern mit Migrationshintergrund seien stark verunsichert, was die Erziehung ihrer Kinder im deutschen Schul- und Bildungssystem betrifft. Zentral sei die Frage, wie Migranten letztendlich an Entscheidungen mitwirken und Einfluss auf das Ergebnis nehmen können. Partizipationsformen seien in der Praxis selten strukturell verankert und weder rechtlich vorgesehen noch garantiert.