Die Straßen sind freigeräumt. Die Müllberge entsorgt. Viele der gefluteten Keller und Wohnräume längst getrocknet. Auf den ersten Blick ist in Hagen nicht mehr viel von der Flutkatastrophe zu sehen. Doch für die betroffenen Familien sieht das ganz anders aus: "Die Probleme liegen nicht mehr im existenziellen Bereich, viel mehr sind die Menschen müde und kraftlos. Sie beginnen jetzt erst mit der Verarbeitung des Geschehenen", berichtet Thomas Doert. Der Sozialarbeiter beim Caritasverband Hagen unterstützt die Flutopfer einerseits bei der Antragstellung für finanzielle Hilfen und andererseits "sind wir auch Sozialarbeiter. Wir wollen für die Menschen da sein, ihnen zuhören und ihnen seelisch zur Seite stehen." Es gehe jetzt darum, den Menschen eine Stimme zu leihen, weil ihnen selber die Kraft dazu fehle.
Der Caritasverband Hagen hat seit der Katastrophe im Juli bislang 250.000 Euro an Soforthilfen ausgezahlt. Darüber hinaus sind bisher etwa 41.000 Euro in die psychosoziale sowie baufachliche Hilfe geflossen. Seit September können Betroffene auch beim Land NRW Förderanträge für den Wiederaufbau stellen. Insgesamt stellt Nordrhein-Westfalen 12,3 Milliarden Euro bereit. "Die Leute brauchen das Geld, aber die Anträge sind wahnsinnig komplex. Hinzu kommt, dass sie nur online ausgefüllt werden können und eine Emailadresse benötigt wird. Diese Tatsachen stellen viele der Betroffenen schon vor große Hindernisse", erklärt Thomas Doert.
Drei bis vier Stunden benötige selbst seine Kollegin und er, trotz einer ausführlichen Schulung im Vorfeld. Er berichtet, dass es besonders für Menschen mit Migrationshintergrund nahezu unmöglich sei, diesen Antrag ohne Hilfe auszufüllen. "Wir vermuten deshalb auch, dass viele betroffene Familien die Hilfen gar nicht in Anspruch nehmen, weil sie einfach keine Kraft haben, sich damit auseinanderzusetzen." Hinzu käme noch, so Thomas Doert, dass es viele Einzelschicksale gebe, die aus unterschiedlichen Gründen keinen Anspruch auf die Hilfen vom Land hätten, aber dennoch dringend das Geld benötigen. "Die Menschen sind teilweise stark traumatisiert." Der Sozialarbeiter berichtet von einer Situation, bei der eine betroffene Frau bei einem Gespräch plötzlich kollabiert sei, weil sie draußen die Regentropfen prasseln gehört habe. "Das Gefühl und die Erinnerung an den Starkregen im Juli haben sie emotional so sehr berührt, dass sie regelrecht zusammengebrochen ist.
Genau dieses Gefühl kennt auch Sandra Janisch-Thurn. Gemeinsam mit ihrem Mann lebt sie in Hagen-Eilpe, direkt an der Volme. Das Hochwasser am 14. Juli hat ihre Wohnung im Erdgeschoss des Hochhauses komplett zerstört. "Ich konnte lediglich meinen Laptop und meinen Drucker retten", berichtet sie. Die ersten Nächte nach der Katastrophe haben sie in ihrem Auto geschlafen, dann bei Freunden und Verwandten. "In unsere Wohnung zurück können wir nicht, der Vermieter hat uns wegen Eigenbedarf gekündigt." Nach wochenlanger Suche haben sie im Nachbarhaus, wieder im Erdgeschoss eine baugleiche Wohnung bekommen. Sandra Janisch-Thurn ist auf einen Rollstuhl angewiesen, deshalb die Erdgeschosswohnung. "Wir haben schon ein mulmiges Gefühl und sobald es wieder stärker regnet, werde ich hellhörig."
Viele Möbel hat das Ehepaar in ihrer neuen Wohnung noch nicht: Eine große Matratze, einen kleinen Klapptisch, zwei Stühle und eine kleine Lampe. "Und etwas Weihnachtsbeleuchtung, die uns die Nachbarn geschenkt haben", ergänzt Ingo Janisch-Thurn. "Erst jetzt wird uns bewusst, was wir alles verloren haben. Ich habe sehr an meiner Weihnachtskrippe gehangen, die schon meiner Uroma gehörte", berichtet Sandra Janisch-Thurn. Auch sie und ihr Mann fühlen sich müde und am Ende ihrer Kräfte. Die vergangenen Monate waren belastend für das Paar.
Gemeinsam mit den Mitarbeitenden des Hochwasserhilfebüros in Hagen, eine zentrale Anlaufstelle der Wohlfahrtsverbände und der Stadt Hagen, haben auch sie einen Förderantrag beim Land NRW gestellt: "Alleine hätten wir den Antrag nicht ausgefüllt bekommen. Da blickt kein Mensch durch. Und auch jetzt fehlen wieder noch Unterlagen oder es ist etwas unklar, wir sind gespannt, wann wir endlich finanzielle Hilfe bekommen." Nicht alle Betroffenen suchen die Hilfe bei den Mitarbeitenden im Hochwasserhilfebüro. Thomas Doert vermutet, dass sich viele Menschen nicht trauen oder davon ausgehen, dass sie keinen Anspruch auf Hilfe haben. Deshalb ist es ihm und seinem Team besonders wichtig, die betroffenen Leute auch vor Ort direkt aufzusuchen.
Hilfe vor Ort leisten: Darum geht es auch dem SkF in Hagen, dem Sozialdienst katholischer Frauen. Seit Mitte Dezember bietet der Sozialdienst in Hagen-Eckesey, einem vom Hochwasser besonders stark betroffenen Stadtteil, ebenfalls eine zentrale Anlaufstelle. "Als Sozialdienst sind wir in erster Linie auf psychosozialer Ebene für die Menschen da. Wir wollen Familien durch verschiedene Angebote entlasten, ihnen wieder Strukturen im Alltag geben", erklärt Michael Gebauer, Geschäftsführer des SkF-Hagen. Die Menschen seien, so Gebauer, alle unterschiedlich weit. "Vor allem ältere Leute sind stark traumatisiert durch dieses Erlebnis, das wird noch lange Zeit brauchen, bis sie das verarbeitet haben." Deshalb legen er und seine Kollegen den Schwerpunkt auf nachhaltige Hilfen: "Es geht darum die Leute langfristig zu unterstützen, denn die Folgen dieser Hochwasserkatastrophe werden noch lange spürbar sein."