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Uwe Browatzki ist Quartierslotse in der Iserlohner Südstadt. (Foto: cpd / Lukas) |
Uwe Browatzki
ist Streetworker aus Überzeugung. Er geht auf die Menschen zu, nimmt sie in den
Arm – und bläst ihnen auch schon mal den Marsch. Seine Klientel sind Menschen,
die ihr Leben auf der Straße verbringen. Alkoholiker, Junkies, Obdachlose – sie
hören Uwe Browatzki zu. Denn er war selbst einer von ihnen.
Als Quartierslotse des Caritasverbandes Iserlohn hat Uwe Browatzki zwar ein
Büro im Iserlohner Haus der Caritas. „Da bin ich aber nur selten anzutreffen“,
schmunzelt er. Das gepflegte weiße Gebäude sei für seine Kunden „viel zu
hochschwellig“. „Die meisten trauen sich gar nicht in so ein Haus hinein.“ Zu
finden ist Uwe Browatzki meist in der südlichen Innenstadt, bei einer Treppe am
Fritz-Kühn-Platz. „Da ist mein Einsatzgebiet.“ Gleich nebenan haben Uwe
Browatzki und seine Kollegin von der Drogenberatung im Märkischen Kreis ein
altes Ladenlokal zur Verfügung gestellt bekommen. Hier haben sie ihre Klientel
im Blick. An manchen Tagen sind es 60 bis 70 Menschen, die sich an der Treppe
treffen.
In sie kann sich Uwe Browatzki gut einfühlen. Er entstammt, wie er selbst sagt,
„dem Iserlohner Sozialadel“. „Mein Vater war Trinker, Geld gab es vom Amt.“ Mit
13 landete er in einem Erziehungsheim in Hannover. „Im gleichen Jahr hatte ich
meinen ersten Alkohol bedingten Filmriss.“ Bei der Bundeswehr schien er seinen
Weg gefunden zu haben, strebte eine Offizierslaufbahn an. „Nur war da immer der
Alkohol. Und an dem herrscht beim Bund kein Mangel.“ Irgendwann ging er einfach
nicht mehr zum Dienst, wurde von Feldjägern verhaftet, bekam ein Verfahren
wegen Fahnenflucht. „Und dann ging es richtig ab. Ich habe gesoffen, Tabletten
genommen, habe geklaut, Einbrüche begangen, Urkunden gefälscht, stand vor
Gericht.“ Vier Entzugstherapien absolvierte er; 1993 blieb sein Herz stehen. Er
wurde in letzter Sekunde reanimiert. „Als ich wieder zu mir kam, war mein
erster Gedanke, wo ich was zu trinken herbekomme“, berichtet er.
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Treppe: Uwe Browatzki (rechts) mit drei seiner Kunden, für die die Treppe in der südlichen Iserlohner Innenstadt so etwas wie eine zweite Heimat ist. (Foto: cpd / Lukas) |
Jeden Tag
besucht Caritas-Mitarbeiter Browatzki die Wohnungslosenhilfe der Diakonie in
Iserlohn. Hier trifft er Otto. Otto führte mal ein normales Leben, verdiente
ganz gut. Bis seine Alkoholsucht sein Leben zerstörte. Er verlor den
Führerschein, machte Schulden, landete schließlich auf der Straße. Mit Hilfe
von Uwe Browatzki ist es ihm gelungen, sich seiner Situation bewusst zu werden.
„Das ist der Anfang. Es ist noch ein langer Weg, der vor Otto liegt“, weiß Uwe
Browatzki aus eigener Erfahrung. „Das Problem ist: Du musst dir helfen lassen
wollen. Viele Menschen sind arm an Hoffnung, Moral und Perspektiven. Meine
Aufgabe ist es, ihnen wieder Hoffnung zu geben.“ Ein harter Job.
1997 kriegte er selbst die Kurve. Am Tag, als sein Verein Borussia Dortmund die
Champions League gewann. „Ich habe von dem Sieg nichts mitgekriegt, ich wachte
am Morgen darauf in einem fremden Garten auf, vollgepinkelt. Vor mir standen
eine Frau und ihre kleine Tochter und hatten Angst vor mir. Das war schlimm.
Und mein Weckruf“, erzählt Browatzki, der damals wohnungslos war. Mit Hilfe
seiner Schwester und der Schuldnerberatung der Caritas kam er wieder auf die
Beine, fand eine Wohnung und einen Job. 2003 gründete er eine Selbsthilfegruppe
für Alkoholiker: „Eins, Zwei, Dry.“
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Kaffee: Die Hilfeeinrichtungen in Iserlohn sind eng miteinander vernetzt. In der Wohnungslosenhilfe der Diakonie trifft Uwe Browatzki (Mitte) auf Karsten (rechts) und Uwe Thomas (links), der dort ehrenamtlich als Helfer tätig ist. (Fotos: cpd / Lukas) |
Als Uwe
Browatzki zur Treppe kommt, wird er freundlich begrüßt. Einige Männer und eine
Frau sitzen dort zusammen. Die Bierflaschen sind nicht zu übersehen. Einer erzählt,
dass sie seit einiger Zeit versuchen, die Treppe halbwegs sauber zu halten. „Es
ist ja so was wie unser Wohnzimmer“, sagt er. Den Menschen Aufgaben geben,
ihnen das Gefühl vermitteln, dass niemand auf sie herabschaut, das gehört zu
Uwe Browatzkis Arbeit wie das Streitschlichten.
Denn in der Vergangenheit gab es immer wieder Ärger, viele Iserlohner trauten
sich nicht mehr, die Treppe zu benutzen. „Mit Polizei wird das Problem nicht
gelöst“, ist Uwe Browatzki überzeugt. Da er sich schon seit Jahren ehrenamtlich
engagierte, wurde ihm 2014 eine Stelle als Quartierslotse angeboten. Während die
Stelle seiner Kollegin über die Drogenberatung im Märkischen Kreis finanziert
wird, ist er bei der Caritas angestellt. „Caritas ist wichtig, weil die Caritas
eben nicht die Stadt ist. Zu den Behörden haben die Menschen oft kein
Vertrauen. Zur Caritas schon.“ Menschen, die ihm einst halfen, wieder Fuß zu fassen,
sind heute seine Kollegen. Uwe Browatzki ist mit allen Hilfseinrichtungen
vernetzt. Iserlohn, erklärt er anerkennend, verfüge über ein hervorragendes
Hilfsnetz.
Und doch werden davon nicht alle erreicht. „Die Menschen auf der Treppe“,
bemerkt er nachdenklich, „das sind ja nur die Gestrandeten, die wir sehen.“ Was
ihn bekümmert sind die, die man nicht sieht. „Wir erleben hinter den Fassaden
eine beispiellose Verarmung und Vereinsamung alter Menschen. Und das
interessiert kaum jemanden.“ Da ist die Geschichte eines alten Mannes, die Uwe
Browatzki nicht aus dem Kopf geht. Er lebte in einer heruntergekommenen „Bude“:
„Es stank. Es war fürchterlich.“ Es war der Stolz, der ihn hinderte, Hilfe zu
suchen: „Er konnte keine Waschmaschine bedienen. Er hat sein Leben lang
gearbeitet, seine Frau hat sich um den Haushalt gekümmert. Dann ist sie
gestorben und er war alleine überfordert, sich sauber zu halten.“ Auch solche
Fälle werden an Uwe Browatzki herangetragen, selbst wenn sie nicht direkt zu
seinem Arbeitsgebiet gehören. Aber er weiß, wie es sich anfühlt, ganz unten zu
sein. Er ist der, dem man vertraut.
Christian Lukas