Stadt – Land - Zukunft
Feierten mit rund 100 Gästen aus Altenilpe und Sellinghausen den zentralen bundesweiten Caritas-Sonntag in Paderborn (von links): Domkapitular Dr. Thomas Witt (Vorsitzender Diözesan-Caritasverband), Marita Hellermann (Caritas-Konferenz Altenilpe/Sellinghausen), Erzbischof Hans-Josef Becker, Petra van Lottum (Caritas-Konferenz Altenilpe/Sellinghausen), Dr. Peter Neher (Präsident des Deutschen Caritasverbandes), Alfons Brüggemann (stellv. Bürgermeister Schmallenberg) und Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig.Markus Jonas
Wo liegen die künftigen Herausforderungen für die Menschen in den Dörfern, wenn Lebensmittelläden, Banken oder Gaststätten verschwinden und der Weg zum Arzt immer weiter wird? Wo haben die Dörfer aber auch ihre Stärken, wo zeichnen sich Lösungen ab? Darüber wollte die Caritas mit Betroffenen ins Gespräch kommen. Gleich zwei Dörfer aus dem Sauerland waren nach Paderborn eingeladen worden: Rund 100 Personen aus Altenilpe und Sellinghausen bei Schmallenberg - fast ein Drittel aller Einwohner - wollten bei diesem besonderen Caritas-Sonntag dabei sein.
Obwohl alle Prognosen auf tiefgreifenden Veränderungen des ländlichen Raums in den kommenden Jahrzehnten hinweisen, sei der demografische Wandel noch kein „Herzensthema“ der Politik“, kritisierte der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Dr. Peter Neher zu Beginn der Talkrunden auf dem Gelände des St. Liborius-Forums. „Es braucht hier noch viel Bewusstseinsbildung.“ Dabei betrifft der demografische Wandel schon jetzt die konkrete Daseinsvorsorge der Menschen. Wie sehr sich ländliche Regionen z. B. mühen müssen, um die ärztliche Versorgung aufrecht zu erhalten, schilderte der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Schmallenberg, Alfons Brüggemann. Selbst in kulturelle Anreize investiere die Stadt, um Ärzte ins Hochsauerland zu locken. „Zum Glück haben wir noch Hausärzte, die auch weite Wege auf sich nehmen.“
Über das Vereinsleben und die Kommunikation auf dem Dorf diskutierten bei der zentralen Feier des Caritas-Sonntags in Paderborn (von links): Stefan Kreye (Landvolkshochschule Hardehausen), Moderator Frank Sitter, Ursula Heyer, Johannes Bette und Andreas Schauerte.Markus Jonas
Dass man sich gegenseitig hilft, um u. a. die immer stärker geforderte Mobilität gemeinsam zu bewältigen, gehört zu den Stärken der Dörfer. Doch was ist mit den Menschen, die aufgrund von Krankheit oder demenziellen Veränderungen sich immer mehr zurückziehen? „ Auf diese Mitbewohner müssen die Dörfer verstärkt ihren Blick richten“, betonte Matthias Krieg vom Diözesan-Caritasverband. Auch im Bereich des kirchlichen Lebens gibt es schmerzhafte Veränderungen, die genauso „unbarmherzig“ erscheinen, wie vieles im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel, so Thomas Klöter vom Erzbischöflichen Generalvikariat. Der Wunsch nach Wortgottesdiensten mit Kommunionfeiern, wie er aufgrund des Priestermangels immer wieder in ländlichen Kirchengemeinden thematisiert wird, könne bislang noch nicht verwirklicht werden. Solche Entscheidungen seien nicht „mal eben so“ zu realisieren, sondern benötigten Zeit, „damit es auch gut wird, was uns wirklich wichtig ist.“
Eine weitere Talkrunde ging der Frage nach, welchen Stellenwert Vereine heute noch haben und ob Kommunikation auf den Dörfern nicht viel stärker digitale Medien nutzen sollten. So gibt es zwar in Altenilpe und Sellinghausen einen gemeinsamen E-Mail-Verteiler, um Dorfbewohner zu informieren – doch mit gemischten Erfahrungen. Bewohner Johannes Bette: „Wir werden wieder mehr auf das persönliche Gespräch setzen.“ Bette forderte ein schnelleres Internet für die Dörfer, allerdings aus einem anderen Grund. „Das ist die Voraussetzung, um überhaupt Gewerbetreibende bei uns zu halten.“ Stephan Kreye von der Landvolkshochschule Hardehausen sieht in den Vereinen ein wichtiges Instrument, um Dörfer am Leben zu halten – unter einer Bedingung: „Jeder Verein muss sich fragen, wofür er ursprünglich gegründet wurde.“ Diese ursprünglichen Aufgaben müssten in die heutige Zeit übersetzt werden, sonst liefen die Vereine Gefahr, nur noch Selbstzweck zu sein.
Die Eigenheiten des ländlichen Raumes schilderte treffend „Hettwich vom Himmelsberg“, die Kabarettistin Anja GeueckeMarkus Jonas
In seiner Predigt im Pontifikalamt hatte Erzbischof Hans-Josef Becker zuvor die Gemeinden dazu aufgerufen, daran mitzuwirken, „dass Städte und Dörfer lebenswerte Orte bleiben“. Ländliche Gebiete stünden wie die dazugehörigen Kirchengemeinden vor ähnlichen Problemen. Auch die lebendige Bezeugung des Glaubens müsse neue Wege finden. „Früher hat man das vielfach einfach an den Pastor delegiert. Das geht nicht mehr“, sagte Erzbischof Becker. „Wenn sich nicht Gemeindeglieder finden, die den Glauben bezeugen, die Menschen zusammenführen, dann wird auch das kirchliche Leben langsam das Land verlassen.“
Ganz neue Herausforderungen auch für den ländlichen Raum sieht Erzbischof Becker durch die sprunghaft angestiegene Zahl der Flüchtlinge. „Das fordert unser ganzes Land heraus.“ Allerdings liege der Anteil der Flüchtlinge im ländlichen Raum schnell höher als in den Städten, wenn beispielsweise eine große Notunterkunft des Landes in einem kleinen Ort errichtet werde. „Aber es ist schön zu sehen, wie auch dort mancher Impuls von dieser Herausforderung ausgeht und Kräfte mobilisiert werden, die für das Dorf in anderer Beziehung wichtig sein können“, sagte Erzbischof Becker. „Ob unser Land mit Leben gefüllt ist oder nicht, liegt wesentlich daran, was wir daraus machen.“