Mit Empathie und Verständnis gegen das Stigma der Sucht
„So will ich nicht mehr leben”, dieser Satz beschreibt die Motivation vieler Menschen, die in die Fachklinik Tauwetter bei Bonn kommen. Sozialarbeiter Elia arbeitet dort für den SKM Köln in der Suchttherapie. Noch im Masterstudium zum Suchttherapeuten, doch mit 20 Wochenstunden bereits tief im Geschehen, setzt er sich für den Frieden der Rehabilitanden – so werden die Patient:innen in der Klinik genannt - ein. „Ich finde den Begriff sehr passend”, erklärt Elia. „Er lenkt den Blick weg vom Stigma der Sucht und hin zu dem, was die Menschen wollen: zurück ins Leben, zu sich selbst.”
Niemand wird freiwillig süchtig
Für Elia ist die Arbeit mit Suchtkranken nicht nur ein Job, um Geld zu verdienen: „Was mich immer gestört hat, war das große Stigma, das der Sucht anhaftet”, erzählt der angehende Suchttherapeut. Sucht werde oft als selbstverschuldet oder Charakterschwäche abgestempelt. Dabei sei es selten eine klare Entscheidung, die in die Sucht führt. Meist entwickle sich eine Sucht in einem komplexen Geflecht aus verschiedenen Lebenslagen, Herausforderungen und Belastungen. „Niemand wird von heute auf morgen freiwillig süchtig”, betont Elia. „Das passiert oft schleichend.”
Dieses Verständnis leitet ihn in seinen Therapiestunden. Er möchte den Rehabilitand:innen auf Augenhöhe begegnen und ihnen helfen, die eigene Sucht zu verstehen. Dafür sei es wichtig, unvoreingenommen zuzuhören und zu verstehen, wie es zur Sucht gekommen ist. So wird ein Raum geschaffen, in dem sich die Betroffenen öffnen können – ohne verurteilt zu werden.
Gute Gesprächskultur schafft Zusammenhalt im Team
In der Fachklinik Tauwetter arbeiten neben Suchttherapeut:innen auch Psycholog:innen, Pflegekräfte sowie Sport- und Arbeitstherapeut:innen. Jede Profession hat ihre eigene Perspektive bei der Unterstützung der Rehabilitand:innen. „Hieraus ergeben sich spannende Diskurse, die jeden von uns dazu bringen, die eigenen Sichtweisen immer wieder zu überprüfen und auf die Rehabilitand:innen neu in Stellung zu bringen”, sagt Elia. „Die eigenen Annahmen müssen nicht immer die richtigen sein.” Auf diese Weise könne ein gegenseitiges Tauziehen vermieden werden, bei dem man auf der Stelle tritt. Das gelte ebenso für Situationen, in denen man sich als Therapeut in einer vermeintlichen Sackgasse befinde: „Ich bin nicht weniger professionell, wenn ich einen Kollegen um Rat frage. Im Gegenteil, es ist das Beste, was ich für das Wohl meiner Patienten tun kann.”
Elia weist auch darauf hin, dass „Lösungen nicht sofort gefunden werden müssen”. Ein Gedanke, der der Suchtarbeit sehr nahekommt. Denn für die Rehabilitand:innen waren es oft die verschiedenen Suchtmittel, die mit ihrer unmittelbaren Wirkung einen vermeintlichen Ausweg boten. Zu lernen, belastende und scheinbar ausweglose Situationen auszuhalten und kurz innezuhalten, ist ein großer und schwieriger Schritt – nicht nur in der Suchttherapie.
Begleitung auf dem Weg zur Selbstversöhnung
„Ich weiß gar nicht, ob ich aktiv Frieden stifte", antwortet Elia auf die Frage nach seinem Beitrag als Friedensstifter in der Suchtarbeit. "Ich versuche nur, die richtigen Fragen zu stellen.” Auf diese Weise könne er bei den Rehabilitand:innen einen Perspektivwechsel erzeugen und ihren Blick auf sich selbst weiten. Denn oft würden sich Verhaltensweisen einschleichen, die quer zu den eigenen Werten und Normen liegen, wie beispielsweise Lügen oder Stehlen. „Das zerreißt die Menschen, weil die Sucht sie dazu treibt”, weiß Elia. Diese Verhaltensmuster zu verstehen, sie zu durchbrechen und so zu sich selbst zu finden ist für den jungen Suchttherapeuten eine Art Versöhnung mit sich selbst. „Und auf diesem Weg begleite ich meine Rehabilitand:innen.”