Mitten in der Stadt engagieren sich Alexandra Boxberger und Dominik Kräling in der Citypastoral in Paderborn.(Foto: Markus Jonas)
Anlass für dieses Gespräch ist das Thema des noch von Papst Franziskus ausgerufenen Heiligen Jahres 2025 "Pilger der Hoffnung". Sie sind in der Citypastoral Paderborn tätig. Bedeutet "Hoffnung" Ihnen da ganz konkret etwas?
Alexandra Boxberger: Auf jeden Fall - Hoffnung ist ja etwas, was uns am Leben hält. Wir möchten gerne einen Teil dazu beitragen, Menschen Hoffnung zu vermitteln, ihnen Punkte zu schenken, damit sie wieder in die Kraft kommen und Hoffnung schöpfen können. Es geht ganz oft um kleine Momente, die gut tun. Dazu gehört so eine Ausstellung, oft auch ein Gespräch oder einfach das Staunen. Ich merke manchmal, wenn Leute vom Markt hereinkommen und zum Beispiel diese Kunstinstallation mit den goldenen Fäden sehen, dann staunen sie - und ihr Gesicht beginnt wieder zu lächeln. Das ist ein Hoffnungsmoment.
Was ist Heimat für dich? Antworten darauf können Besucher der Ausstellung „Heimat ist Vielfalt“ in der Paderborner Gaukirche im Oktober geben. Ihre Antworten werden auf einer Wäscheleine in der Kirche aufgehängt.(Foto: Markus Jonas)
Wir befinden uns hier im Rahmen der Ausstellung "Heimat ist Vielfalt" in der Gaukirche. Hat das etwas mit dem Thema Hoffnung zu tun - oder was möchten Sie damit vermitteln?
Dominik Kräling: Das Ganze ist eingerahmt in ein Jahresthema, bei dem es um die Vielfalt in unserer Gesellschaft geht. Wir möchten damit deutlich machen, dass diese Vielfalt ein Schatz für uns in Deutschland ist. Wir bestehen aus sehr unterschiedlichen Menschen, die alle ihre Besonderheiten und Eigenarten haben - und unser Land zu dem machen, was es ist. Darauf können wir auch stolz sein. Natürlich haben wir die Ausstellung auch vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Diskussionen gemacht. Gemeinsam mit dem Caritasverband Paderborn und seiner Antidiskriminierungsstelle, der Abteilung Schulpastoral des Erzbischöflichen Generalvikariates und weiteren Kooperationspartnern haben wir verschiedene Formate ins Leben gerufen, um ein Zeichen zu setzen. Wir laden die Menschen in der Ausstellung dazu ein, selbst aktiv zu werden. Das war eine Idee aus dem Gemeindeteam St. Liborius, das mit uns zusammenarbeitet: Lasst die Menschen doch einfach mal aufschreiben, was Heimat für sie bedeutet! Wenn man an den Wäscheleinen schaut, sieht man, wie viele Gedanken dort hängen - was den Menschen selbst Heimat bedeutet. Hoffnung gibt vielleicht auch so ein Ort, an dem man ganz man selbst sein kann. Da passt das Thema sehr gut. Natürlich kommen dort auch Dinge wie "Der Glaube ist mir wichtig", "die Eucharistie" oder "Jesus" vor - aber genauso viele ganz andere Antworten. Es ist eben sehr vielfältig.
Wenn man die Nachrichten sieht, ist man ja oft verunsichert. Viele Menschen fühlen sich unwohl. Ist Heimat da auch so etwas wie ein Rückzugsort geworden?
Alexandra Boxberger und Dominik Kräling von der Citypastoral in Paderborn begleiteten im Oktober die Ausstellung „Heimat ist Vielfalt“ in der Gaukirche, wo Menschen ihre Vorstellungen auf einen Zettel schreiben und an eine Wäscheleine in der Kirche hängen konnten.(Foto: Markus Jonas)
Dominik Kräling: Ja, ich habe schon das Gefühl. Heimat ist natürlich sehr vielfältig definiert, aber man liest dort oft Sätze wie: "Heimat ist da, wo die Menschen sind, bei denen ich einfach so sein kann, wie ich bin." Das ist mein Zuhause - ein Ort, wo man sich vielleicht auch ein bisschen zurückziehen kann.
Alexandra Boxberger: Natürlich - Familie, Freunde. Es gibt Menschen, die in den Rückzug gehen. Seit Corona sehen wir, dass viele nicht mehr so ausgehen, dass viele junge Leute das Kneipenleben meiden und lieber schnell nach Hause wollen. Da fühlen sie sich sicher und wohl. Es ist schön, dass wir hier einen Punkt haben, der nach außen geöffnet ist - wo Menschen hinkommen und sich besinnen können: Was ist mir wichtig? Was tut mir gut? Einerseits braucht es einen Rückzugsort, um Kraft zu tanken - Stichwort Resilienz. Wenn ich einen guten Ort und liebe Menschen habe, bin ich schneller hoffnungsvoll. Dann wirft mich nicht alles so schnell um. Aber der absolute Rückzug ist natürlich auch verkehrt.
Als Citypastoral Paderborn sind Sie mitten in der Stadt. Es scheint fast so, als wäre der Ausstellungstitel auch ein bisschen der Titel Ihrer Arbeit. Versuchen Sie hier, Heimat zu geben - den Leuten zu begegnen, hier in der Heimat, in all ihrer Vielfalt?
Dominik Kräling: Ja, auf jeden Fall. Wir machen keinen Unterschied, wer uns begegnet. Unsere Aktionen finden punktuell statt - wir sind ja kein Café, in dem man täglich die Zeitung liest, einen Kaffee trinkt und mit uns plaudert. So einen festen Ort haben wir nicht. Wir tauchen immer wieder an unterschiedlichen Orten auf. Dabei kommen wir mit sehr verschiedenen Menschen in Kontakt - das ist total spannend, weil wir nie wissen, was uns erwartet. Im Nachhinein merken wir oft: Wir gehen genauso gestärkt aus solchen Begegnungen heraus wie die Menschen, die uns treffen. Ein Beispiel: Wir haben eine Aktion zum Thema Grundgesetz gemacht. Die Menschen sollten mit Sand gewichten, welcher Artikel ihnen am wichtigsten ist. Nachher ging es gar nicht mehr darum, welcher Artikel "gewonnen" hat, sondern um die Gespräche, die daraus entstanden. Wir haben uns über Kopftücher, Religionen und vieles mehr unterhalten - ganz offen. Eine Familie, alle Generationen zusammen - Mutter und ihre Töchter- kamen ins Gespräch. Die Tochter trug ein Kopftuch, die Schwester nicht. Wir erfuhren etwas über ihre Überzeugungen, über Angenommensein. Solche Gespräche sind einfach wertvoll.
Sie haben punktuell auch mit Menschen zu tun, die auf der Straße leben. Was für Erfahrungen machen Sie da?
Alexandra Boxberger: Das war besonders in der Zeit, als wir oft an der Herz-Jesu-Kirche waren, an der zentralen Kreuzung in Paderborn - mit der Roten Bank als Ort der Begegnung. Eine Zeit lang saßen dort viele aus der Drogenszene auf der Treppe. Wenn wir mit der Bank dort waren und eine Aktion machten, kam irgendwann jemand aus der Gruppe und fragte: "Was macht ihr denn da?" oder "Verteilt ihr Schokolade? Kann ich auch was haben?" Klar konnten sie. Und dann entstanden interessante Gespräche. Ich kam dabei ins Nachdenken: Die Leute, die dort sitzen und so fertig wirken - das waren auch mal ganz normale Kinder, die vielleicht einfach einen schlechten Start hatten und dann in diese Richtung geraten sind. In diesen Gesprächen kommt der Mensch hervor - nicht mehr nur das äußere Bild.
Dominik Kräling: Ganz oft ist irgendwo im Leben das Vertrauen weggebrochen: Jemand wurde in der Ausbildung nicht übernommen, verlassen, enttäuscht - und dann ging es schnell bergab. Viele sind sehr sensibel, und das ist vielleicht sogar der Auslöser, dass sie mit dem "normalen Rhythmus" nicht mehr klarkommen und auf der Suche bleiben. Wir merken, dass gerade diese Menschen Anschluss suchen. Sie wollen nicht in die letzte Ecke gedrängt werden, sondern Begegnung.
Alexandra Boxberger: Natürlich haben manch andere Passanten gesagt: "Wir setzen uns da bei euch nicht hin, das ist ja ein schlechter Platz." Der Ort an der Herz-Jesu-Kirche hatte eben dieses Image. Das war beides - Begegnung und Abgrenzung.
Gibt es etwas, das Sie persönlich aus solchen Begegnungen lernen - oder das vielleicht auch die Kirche daraus lernen könnte?
Dominik Kräling: Ja, eigentlich das, was schon oft gesagt wurde: Raus an die Ränder. Wir haben uns als Kirche zu sehr in unsere Wohlfühloase zurückgezogen und uns auf das berufen, was immer schon funktioniert hat. Die Herausforderung wird sein, sich auf unbekanntes Terrain zu wagen. Was daraus entstehen kann - persönlich wie kirchlich - das gibt einem viel mehr, als wenn man nur den Gottesdienst feiert - wobei das auch wichtig ist für die persönliche Sammlung. Aber der Sendungsgedanke kommt dann viel stärker zum Vorschein. Ich glaube, wir als Kirche haben viel mehr Potenzial, als wir tatsächlich auf die Straße bringen.
Alexandra Boxberger: Wir sagen so leicht: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Aber es gibt dann auch Momente, da ist das eine riesige Herausforderung, den Nächsten zu lieben.
Erleben Sie es auch, dass Sie Menschen mit Nöten begegnen und gern etwas an der Hand hätten, um ihnen konkret zu helfen? Müssten Kirche und Caritas da nicht stärker zusammenarbeiten?
Dominik Kräling: Manchmal ist es schon gut, wenn man überhaupt voneinander weiß. Einige Institutionen kennen wir inzwischen besser - etwa die Bahnhofsmission oder den Mittagsimbiss bei der Padermahlzeit. Wenn jemand nach einer Mahlzeit sucht oder Hilfe braucht, kann man so Tipps geben. Auch aufeinander aufmerksam zu machen - miteinander Dinge zu tun - ist hilfreich. Trotzdem weiß ich längst nicht alles, was der Caritasverband hier in Paderborn anbietet.
Alexandra Boxberger: Informiert zu sein, ist wichtig: zu wissen, was man jemandem an die Hand geben kann - das ist nie verkehrt.
Gibt es eine Begegnung in der vergangenen Zeit, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Alexandra Boxberger: Ich erlebe beides: Einerseits muss man vorsichtig sein. Auf der Roten Bank hatten wir einmal jemanden, der sich mit uns unterhielt - und hinter dem Rücken dealte er. Da merkt man: Man kann sich nett unterhalten, gut zuhören - aber man muss auch aufmerksam bleiben. Dann gibt es aber auch die tief berührenden Gespräche. Ein ehemaliger Soldat, ein Waliser, der in Paderborn stationiert war, erzählte mir, wie er auf die Straße kam - Kriegstrauma, eigentlich war er Schreiner, aber er kam nie wieder auf die Beine. Er betäubte alles mit Alkohol. Wie offen er erzählte, hat mich sehr bewegt. Er hatte ein ganz normales Leben, hat Geld verdient, hatte damals sogar noch eine Wohnung. Ich weiß gar nicht, ob er noch lebt. Aber das Gespräch hat mich tief berührt.
Dominik Kräling: Zuletzt hatte ich hier in der Kirche ein kurzes Gespräch mit jemandem aus Marsberg. Er kam vergangenen Mittwoch und sagte, dass er die Kirche gerne nutzt, um einen Moment der Stille zu finden. Er war dankbar für die Angebote, besonders in der Adventszeit, wenn es draußen trubelig ist. Das ist für ihn eine kleine Kraftquelle. Solche Begegnungen sind weniger intensiv, aber sie zeigen, dass wir mit geöffneten Türen etwas in Bewegung setzen können - auch wenn wir oft gar nicht wissen, was in den Menschen weiterwirkt.
Wenn Sie täglich im Gespräch mit Menschen sind - was gibt Ihnen persönlich Hoffnung?
Dominik Kräling: Manchmal ist es schwierig, Hoffnung zu finden, weil die Herausforderungen zunehmen. Es ist viel Unsicherheit zu spüren, viele wissen nicht, wohin das Ganze führt. Trotzdem merken wir im Alltag, dass es uns hier doch recht gut geht - und genau deshalb lohnt es sich, auf Begegnungen zu setzen. Was sollen wir machen - den Kopf in den Sand stecken? Das wäre keine Lösung. Wenn wir unsere Aktionen machen, merken wir: Die Menschen erwarten nichts, sind dann aber überrascht und dankbar für den Moment. So setzen wir kleine Punkte - vielleicht nur für den Tag, vielleicht für mehr.
Alexandra Boxberger: Mir geben Familie und Freunde Halt. Auch die Arbeit mit Menschen tut mir gut. Zu merken, dass ich nicht allein bin, hilft mir, anderen etwas zu geben. Wenn ich ein zurückgezogenes Leben führen und Menschen meiden würde, hätte ich auch anderen nichts zu geben.
Dominik Kräling: Wirksam zu sein, zu spüren, dass ich am Ende des Tages etwas Gutes in Bewegung gesetzt habe oder einen Impuls geben konnte - das gibt mir Kraft.
Alexandra Boxberger: Und ja, manchmal muss man sich auch zurückziehen, Kräfte sammeln. Dann darf man ruhig mit einer Tüte Chips auf dem Sofa sitzen und Inspector Barnaby schauen (lacht). Ich finde, das ist auch mal wichtig - um dann wieder rausgehen zu können.
Also das Miteinander, die Begegnung - das ist ein wichtiger Punkt, damit man die Hoffnung nicht verliert?
Alexandra Boxberger: Das Miteinander ist das A und O. Ich höre manchmal ältere Menschen sagen: "Ich habe den ganzen Tag noch mit niemandem gesprochen." Das finde ich heftig - diese Einsamkeit. Wenn jemand morgens aufsteht, allein frühstückt, den ganzen Tag niemanden sieht und erst draußen ein erstes Gespräch hat - das ist hart. Einsamkeit ist eines der größten Probleme.
Dominik Kräling: Das ZDF hat kürzlich beim Fußballspiel der Nationalmannschaft in der Halbzeitpause auf das Thema Einsamkeit aufmerksam gemacht, weil es gesellschaftlich so wichtig wird. Für Caritas und Kirche ist das ja eigentlich ein Kernauftrag: Gelegenheiten schaffen, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Alexandra Boxberger: Das wird in der Zukunft noch ein viel größeres Problem werden. - In der Herz-Jesu-Gemeinde gibt es einmal pro Woche ein Kaffeetrinken, organisiert von Ehrenamtlichen gemeinsam mit der Caritas. Die Frauen dort sind alle Witwen - und sie sind unglaublich fröhlich, lachen viel. Früher sind sie danach sogar noch etwas trinken gegangen. Sie haben aktiv etwas gegen Einsamkeit getan. Heute sind es weniger - manche sterben, neue kommen kaum noch nach. Vielleicht müsste man solche Treffpunkte wieder größer denken, Gelegenheiten schaffen, damit Menschen einen Grund haben, sich schick zu machen, rauszugehen. Das tut gut.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Markus Jonas
Mehr Infos zur Citypastoral Paderborn unter: www.dekanat-pb.de/city-pastoral