Peter Leppin engagiert sich im Caritas-Quartierbüro Lichtenfelde gegen Vereinsamung. (Foto: Markus Jonas)
Die Tür steht offen. Wie fast jeden Tag ist Peter Leppin vor Ort, setzt erst einmal einen Kaffee auf. Denn: In der Caritas-Anlaufstelle im Paderborner Wohnquartier Lichtenfelde am Lichtenturmweg sind Besucher jederzeit willkommen. "So mancher, der mein Auto erkennt, kommt dann erstmal rein und will reden", erzählt der 77-Jährige. Die Anlaufstelle in seinem eigenen Wohngebiet ist ihm ein Herzensanliegen. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass hier sehr viele Menschen leben, die einsam und verlassen sind", berichtet er.
Zwischen 6000 und 7000 Menschen leben in seinem Wohnquartier. Die Innenstadt von Paderborn sowie ein großes Einkaufszentrum sind nicht weit entfernt, für Senioren mit Rollatoren und ohne Auto allerdings kaum erreichbar. Als vor einigen Jahren der kleine Supermarkt in der Nachbarschaft geschlossen werden sollte, wurde der langjährige Caritas-Mitarbeiter Peter Leppin daher aktiv. 40 Jahre lang hatte er sich beruflich bei der Caritas Paderborn für das Gemeinwohl eingesetzt - das lässt sich nicht einfach abschütteln. "Ich bin dann mit einer Unterschriftenliste zum Erhalt des Nahkaufs von Tür zu Tür gegangen", berichtet er. "Letztlich erfolglos, aber dabei ist mir aufgefallen, wie viele einsame Menschen es hier gibt." Denn nicht selten wurde aus dem kurzen Gespräch an der Haustür ein mitunter stundenlanger Aufenthalt, weil die Menschen sonst niemanden mehr zum Reden hatten.
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Angeboten in der Caritas-Anlaufstelle - wie etwa einen Spielenachmittag. Häufig mit dabei: Carry Bergmann, der man ihre 87 Jahre definitiv nicht ansieht. 1966 zog die Indonesierin der Liebe wegen von Amsterdam nach Paderborn - "aus der Großstadt ins Dorf", sagt sie und lacht. "Damals wurde ich beguckt, als käme ich von einem anderen Planeten." Ihren Mann hat sie überlebt und ist nun allein. "Das war so nicht geplant." Mitspielen möchte sie heute aber nicht. Bei "Qwirkle" und "Rummikub", auf das sich die anderen sieben Spieler in zwei Gruppen heute verständigt haben, müsse man zu viel nachdenken. "Aber ich sitze lieber hier als allein zu Hause", sagt sie, blättert in einer Zeitschrift und beteiligt sich gelegentlich an den Gesprächen. Beim Rummikub, das dem Kartenspiel Rommé ähnelt, sitzt ein 38-jähriger ehemaliger koptischer Mönch aus Eritrea mit drei Damen jenseits der 80 Jahre zusammen. "Er liebt das Spiel", sagt Lucia Schröder lächelnd, was dieser bestätigt. "Ich finde es ganz fantastisch." Die Runde hat viel Spaß zusammen - Ende offen. Die letzten Spieler ziehen die Tür hinter sich zu.
Das Paderborner Wohnquartier am Lichtenturm war Ende der 70er-Jahre auf einem großen Feld entstanden. Eigentlich nicht schlecht geplant: mehrstöckige Wohnanlagen gemischt mit Einfamilienhäusern und Grünflächen. "Damals zogen hier junge Familien ein. Die Kinder sind nun aber alle aus dem Haus, die Paare blieben zurück und wurden älter", sagt Leppin. Bei vielen starb der Ehepartner, einige junge Leute und Flüchtlinge kamen nach. Die, die kamen, leben ihr Leben aber eher in der nahen Universität oder im Zentrum von Paderborn.
Einen Kaffee bekommt man bei Peter Leppin im Quartierbüro immer. (Foto: Markus Jonas)
"Mich hat es berührt, dass gerade in den Hochhäusern viele Ältere krank vor Einsamkeit sind", sagt Leppin bewegt. Er ging zu seinem früheren Arbeitgeber und schilderte dem Vorstand des Caritasverbandes Paderborn, Patrick Wilk, das Problem. "Was für eine Idee haben Sie?" fragte dieser. "Ein Quartiersbüro, eine Anlaufstelle für das Quartier", war die Antwort von Leppin. Wilk sagte Unterstützung zu. Gemeinsam mit der Stadt und in Absprache mit dem eigentlich für das Quartier zuständigen Wohlfahrtsverband übernahm die Caritas die Miete für eine Anlaufstelle.
"Regenbogen - was ist das?" fragt der 62-jährige Yurii aus der Ukraine. Beim Sprachkurs am Dienstagabend erklärt die pensionierte Lehrerin Monika Neuwöhner heute Wetterphänomene. Doch Shadi, ein 40-jähriger Kurde aus Syrien, kommt ihr zuvor und erklärt es seinem Nachbarn. Zweimal wöchentlich findet in der Anlaufstelle ein Sprachkurs in kleinem Kreis statt - heute mit sechs Teilnehmern von vier Kontinenten. "Die Kurse beim Caritas-Dienst Mikado waren überlaufen", erklärt Peter Leppin. "Außerdem kommt man in den großen Kursen ja gar nicht zum Reden." Zwei junge Männer aus Guinea sind heute wieder dabei, außerdem zwei junge Brasilianerinnen, die ein Jahrespraktikum in Paderborner Pflegeeinrichtungen absolvieren und bei einer Gastmutter im Viertel wohnen. "Die sind alle sehr motiviert und machen intensiv mit", sagt die Lehrerin zufrieden.
Seit 2018 gibt es nun den sozialen Treffpunkt der Caritas. "Es geht darum, Nachbarschaften zu pflegen, Menschen aus verschiedenen Generationen und Kulturen zusammenzuführen", erklärt Leppin. Corona erschwerte dies natürlich. "Das hat auch viel wieder kaputtgemacht", bedauert er. Doch Leppin hat nicht aufgegeben. Zahlreiche Gruppen treffen sich regelmäßig in der Anlaufstelle, die direkt zwischen einem Bäcker und einem Ärztehaus mit Apotheke liegt. Mehr als 20 Ehrenamtliche hat er gewonnen, die sich in der ein oder anderen Form engagieren. Etwa Waldemar Selko. "Der macht alles", sagt Peter Leppin am Rande eines Treffens der Ehrenamtlichen und lächelt. "In allen Lagen, Selko fragen." Doch der winkt bescheiden ab. "Seit 35 Jahren lebe ich im Viertel", sagt er. Ein gutes Miteinander im Viertel sind ihm ein wichtiges Anliegen. Dann werden die Dienste der kommenden Wochen in der Runde besprochen.
Als Peter Leppin am Ende zu einem Rundgang durchs Viertel aufbrechen will, kommt Katja Kesselmeier aus ihrer "Apotheke am Lichtenturm". Sie freut sich über den regen Betrieb in der Nachbarschaft. "Der Treff ist eine ganz wichtige Anlaufstelle", sagt die Apothekerin. "Eine wichtige soziale Säule für das Viertel." Dass Einsamkeit ein Problem ist, ist ihr besonders während der Pandemie aufgefallen. "Manche Ältere sind jeden Tag in die Apotheke gekommen, um irgendetwas abzuholen und nebenbei ins Gespräch zu kommen. Viele andere Möglichkeiten gab es ja nicht." Bei einem Seniorentreff in der Anlaufstelle war sie auch schon als Referentin eingeladen. "Beim Kaffeetrinken der Senioren ist es gut, immer einen inhaltlichen Input zu haben", erklärt Peter Leppin.
Auch eine zugezogene Märchenerzählerin aus seiner Nachbarschaft hat er für den Treff gewonnen. Vor zwei Jahren war Karin Müller das erste Mal da. "Der Raum war voll", berichtet sie. "Gerade Ältere lieben Märchen. Die machen was mit einem, die kann man nicht streamen wie eine Serie." Deshalb beschränkt sie sich auf drei Märchen pro Termin, unterbrochen von Musik und anderen akustischen Impulsen. "Die Leute, die kommen, sind sehr dankbar, dass es das gibt." Ihr Angebot macht sie einmal im Monat. "Es ist ein sehr gemischtes Quartier", ist ihr nach dem Umzug schnell aufgefallen. "Diese Begegnungsstätte trägt da definitiv zur Gemeinschaft und gegen die Vereinsamung bei jedem Einzelnen und im Quartier bei."
Ein wichtiger Dienst also. Allerdings trägt Peter Leppin nach wie vor die Hauptverantwortung für den Treff und ist rund 20 Stunden in der Woche im Treff vor Ort. Er sorgt sich um seine Nachfolge. Denn viele Ehrenamtliche wollen sich zwar gern engagieren und packen gern mit an. Doch Verantwortung für das Ganze zu übernehmen ist den meisten zu viel. Da hofft Peter Leppin auf eine gute Lösung beim zuständigen Caritasverband. "Der Treff muss weitergehen", sagt er.
Markus Jonas
(Diese Reportage wurde 2024 erstmals veröffentlicht und für die erneute Veröffentlichung aktualisiert.)
Angebote im Caritas-Treff am Lichtenturmweg 39 in Paderborn:
- Seniorenfrühstück (zweiter Fr./Monat ab 9 Uhr)
- Erzählcafé (erster Do./Monat 9 bis 11 Uhr)
- Offenes Treffen der Engagierten (dritter Do./ Monat 18 Uhr)
- Sprachkurs Deutsch (Di. & Do. 18 bis 19 Uhr)
- Offene Sprechstunde (Mi. 10 bis 12 Uhr)
- Seniorentreff (dritter Di./ Monat 15 bis 17 Uhr)
- Eltern-Kind Gruppe (Di. 09:30 bis 11:30 Uhr)
- Spieltreff (Mo. ab 15 Uhr)