Was hätte der barmherzige Samariter getan, wenn er nicht nur ein einzelnes Gewaltopfer, sondern hundert im Straßengraben gefunden hätte? Wem hätte er zuerst geholfen? Und wie hätte der Samariter auf nicht akzeptable Wertvorstellungen seines Schützlings reagiert? Spannende Fragen, die beim diesjährigen Caritas-Diskurs Ethik diskutiert wurden. "Wir brauchen diese sozialethische Reflektion", betonte Domkapitular Dr. Thomas Witt, Vorsitzender des Diözesan-Caritasverbandes und Flüchtlingsbeauftragter des Erzbistums Paderborn. Während es Kirche und Caritas beim Thema Integration mit ihren klaren Positionen relativ einfach hätten - sie könnten parteiisch sein und sich ganz auf die Seite der Menschen in Not stellen - treffe dies für Politik und Gesellschaft nicht so einfach zu, weil diese viele weitere Parameter zu berücksichtigen haben. Es gelte über den Diskurs auch beim Thema Integration Kompromisse zu finden. "So funktioniert unsere Gesellschaft, und dies macht sie ja so erfolgreich."
Dr. Andreas Lob-Hüdepohl, Professor für Theologische Ethik an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin, machte deutlich, dass gerade die Caritas sich einer sozialethischen Debatte stellen muss, wenn sie ihrer Verantwortung gerecht werden will. "Wir können als Caritas zwar viele Herausforderungen hervorragend bearbeiten, haben aber mit zunehmenden Legitimationsproblemen zu kämpfen." Lob-Hüdepohl plädiert dafür, in der Flüchtlingshilfe nicht nur die Durchsetzung menschenrechtlicher Ansprüche zu sehen, sondern auch die Solidarfähigkeit von Staat und Gesellschaft im Blick zu haben. "Es gibt durchaus eine Differenz zwischen menschenrechtlichen Ansprüchen und staatsbürgerlichen Rechten. Daraus ergeben sich Dilemmata. Wenn wir die nicht thematisieren, kommen wir unserer Verantwortung nicht nach." Aus dem Beispiel des barmherzigen Samariters lasse sich beispielsweise nicht ableiten, alle Grenzen zu öffnen; so gebe es auch eine Legitimation für geschlossene Grenzen. Grenzen dienten u. a. dem Schutz der Solidarfähigkeit. Für Lob-Hüdepohl ist es auch eine "menschenrechtliche Größe", die Frage zu stellen, wie man eine "grenzenlose Entleerung" dieser Fähigkeit zur Solidarität vermeiden kann.
Auch beim Thema Integration mahnte Lob-Hüdepohl differenzierter hinzuschauen. "Kulturelle Diversität muss nicht automatisch als Bereicherung erfahren werden." Obwohl die Konfrontation mit Vielfalt eigentlich als Motor zur Stärkung der eigenen Identität dienen müsste, könne Vielfalt auch zu einer überfordernden Verunsicherung führen. Die daraus resultierenden Abwehrhaltungen ließen sich am ehesten im Aufbau einer zivilen Solidarität bearbeiten. Gerade Christen käme dabei die Funktion von "Brückenbauern" im Alltag zu, die aber auch in aller Entschiedenheit Flagge zeigen müssten, wenn Werte verletzt und Grenzen überschritten würden. Lob-Hüdepohl: "Grenzen zu setzen, ist ein Achtungserweis gegenüber allen, die zu dieser Gesellschaft dazu gehören wollen."
Bellinda Bartolucci, rechtspolitische Referentin bei Pro Asyl, sieht allerdings Integration zurzeit eher dadurch gefährdet, dass nicht einmal mehr die Hälfte der Asylantragsteller einen positiven Bescheid erhält. Misstrauen, Abschottung und nicht zuletzt Abschreckung durch medienwirksame Abschiebungsszenarien verhinderten Integration: "Wenn du Angst hast, kannst du dich nicht integrieren."
Integration kann ein steiniger Weg sein. Dies gilt insbesondere, wenn Zuwanderer und Flüchtlinge nicht kompatible Wertvorstellungen mitbringen, etwa beim Thema Kinderehen, religiöser Toleranz, Selbstbestimmung der Frau etc. "Die Deutschen müssen nicht aus politischer Korrektheit ihre eigene Religion oder Kultur leugnen", mahnte Pater Georges Aboud, Seelsorger für christlich melkitische Flüchtlinge in der Bundesrepublik. "Es geht darum, authentisch zu bleiben." Ebenfalls zur Entschiedenheit, aber auch zu Fairness und Gelassenheit riet Dr. Andreas Fisch, Referent in der Kommende, dem Sozialinstitut des Erzbistums Paderborn in Dortmund.